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Das Flüstern der Nacht

Das Flüstern der Nacht

Titel: Das Flüstern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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dass du ihn wolltest, auch wenn du zu züchtig warst, entsprechend zu handeln. Und warum auch nicht? Er ist ansehnlich
wie ein Wolf und ein Kurier obendrein. Das sollte jeder Frau genügen. Was denkst du, warum Gared so eifersüchtig auf ihn war?«
    »Gared war auf jeden eifersüchtig, Mam«, entgegnete Leesha.
    Elona nickte. »Er kommt ganz nach seinem Vater: schlichte Gemüter, die sich von ihren Trieben leiten lassen.« Sie lächelte wehmütig, und Leesha wusste, dass sie an Steave dachte, ihren ersten Liebhaber, der im letzten Jahr gestorben war, als der Schleimfluss im Tal der Holzfäller grassierte und die Siegel versagten.
    »Der Marick, den ich unterwegs auf der Straße kennengelernt habe, war auch nicht viel anders«, räumte Leesha ein.
    »Und du hast die Schliche einer Kräutersammlerin angewandt, um ihn dir vom Leib zu halten«, riet Elona, »anstatt die günstige Gelegenheit zu nutzen, dich mit ihm zu vergnügen, ohne dass es je einer erfahren hätte.« Genauso war es gewesen; Leesha hatte Marick heimlich Kräuter ins Essen gemischt, die ihn seiner Manneskraft beraubten. Nur auf diese Weise hatte sie verhindern können, dass er sich ihr aufzwang.
    »So wie du das gemacht hättest?«, fragte Leesha und konnte nicht vermeiden, dass sich ein bissiger Unterton in ihre Stimme schlich.
    »Allerdings«, gab Elona freimütig zu, »was ist schon dabei? Röcke werden aus gutem Grund gelüftet. Frauen haben unterhalb der Taille dieselben Bedürfnisse wie die Männer. Belüge dich nicht selbst, indem du das leugnest.«
    »Das weiß ich, Mam.«
    »Du weißt es, und trotzdem nähst du deine Unterröcke zu, im Glauben, irgendwie heldenhaft zu sein, wenn du auf die Erfüllung dieser Wünsche verzichtest. Wie kannst du Kranke behandeln, wenn du nicht mal gelernt hast, deinen eigenen Körper zu verstehen?«
    Leesha blieb ihr eine Antwort schuldig. Ihre Mutter hatte die höchst beunruhigende Gabe, ihre Gedanken lesen zu können.

    »Du solltest nach oben gehen und mit Marick sprechen, solange deine anderen Verehrer nicht hier sind«, regte Elona an. »In den vergangenen Jahren ist er reifer geworden, hinzu kommt die gerade überstandene Tragödie, aus der er als Held hervorgegangen ist. Die Leute da draußen können gar nicht aufhören, Loblieder auf ihn zu singen. Vielleicht ist er jetzt mehr nach deinem Geschmack.«
    »Ich weiß nicht …«, zögerte Leesha.
    »Stell dich nicht so an!«, drängte Elona. »Bring ihm ein Tablett mit Essen auf sein Zimmer und rede mit ihm. Du musst ja nicht gleich heute Nacht mit ihm vögeln.« Sie lächelte verschmitzt und blinzelte ihr zu. »Und wenn es doch dazu kommt, verbringst du eine schönere Nacht als wenn du über Probleme nachgrübelst, die morgen früh auch noch da sind.«
    Wider Willen musste Leesha lachen und umarmte ihre Mutter noch einmal.

    Immer wieder kamen sie an Orten vorbei, an denen ein Gemetzel stattgefunden hatte; Leichen lagen überall, vereinzelt oder in Gruppen, zerfetzt von Horclingen, die die schutzlosen Flüchtlinge nach Einbruch der Nacht überrascht hatten.
    Der Tätowierte Mann fluchte bei diesem Anblick und spornte Schattentänzer noch kräftiger an; lediglich am ersten dieser Schauplätze hatte er den Hengst kurz durchpariert, um sich einen Überblick zu verschaffen. Die Männer, die ihm folgten, alles unerfahrene Reiter, selbst Gared und die Holzfäller, fielen immer weiter hinter dem kraftvollen Streitross zurück, doch das kümmerte ihn nicht. Auf der Straße waren Flüchtlinge unterwegs, aus ihrer Heimat vertrieben von Ahmann Jardir, den er in seiner Unbedarftheit einmal seinen Freund genannt hatte, und bevor die Dunkelheit herabsank, musste er möglichst viele dieser unglücklichen Menschen finden und in Sicherheit bringen.

    Aber für jedes Opfer würde er Jardir zur Rechenschaft ziehen; der Horc sollte ihn holen, wenn er ihn verschonte.
    Nach einem scharfen Ritt von über einer Stunde erreichte er eine große Gruppe Flüchtlinge. Die untergehende Sonne verabschiedete sich mit einem prächtigen Farbenspiel, doch die Leute arbeiteten immer noch an den Siegeln, die ihren Lagerplatz schützen sollten. Sie hatten die magischen Zeichen auf Holzbretter gemalt, aber das Gebiet, das sie absichern wollten, hatte eine unregelmäßige Form, und das Netz war nicht akkurat ausgerichtet.
    »Das ist er«, flüsterte ein Bannzeichner einem anderen zu. »Der Erlöser.« Der Tätowierte Mann ging nicht darauf ein, sondern widmete sich der vor ihm liegenden Aufgabe.

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