Das Flüstern der Nacht
Ein paar Siegel versetzte er, damit sie lückenlos an die Zeichen daneben anschlossen, doch viele veränderte er mit einem Holzkohlestift, oder er drehte die Bretter um und zeichnete neue.
Langsam scharte sich eine Menschenmenge um ihn; die Leute klammerten sich aneinander und tuschelten, während sie auf seine tätowierten Hände starrten oder versuchten, einen Blick unter seine Kapuze zu erhaschen. Doch keiner wagte es, sich ihm zu nähern, und er konnte ungestört arbeiten. Als seine Gefährten ihn dann endlich einholten, kletterte Erny umständlich von seinem Pferd, um ihm zu helfen. Rojer und die anderen postierten sich schützend zwischen ihm und der Menge.
»Erlöser!«, kreischte eine Frau. Er blickte flüchtig hoch und sah, wie sie vergeblich gegen Gared ankämpfte, der sie mit seinen muskulösen Armen gepackt hielt und daran hinderte, zu ihm zu laufen; in ihren Augen brannte ein fanatisches Feuer. Dann wandte er sich wieder seiner Aufgabe zu.
»Bitte!«, schrie die Frau. »Meine Schwester ist noch unterwegs!«
Jetzt hob der Tätowierte Mann ruckartig den Kopf. »Du beaufsichtigst das Siegelnetz«, sagte er zu Erny. »Ziehe so viele von ihren Bannzeichnern als Helfer heran, wie du brauchst. Ich lasse dir ein paar Bogenschützen hier, die dafür sorgen, dass du Zeit
hast, das Netz fertigzustellen.« Erny schluckte, aber er nickte und rief die rizonischen Bannzeichner zu sich, die zusammen mit den Flüchtlingen in einiger Entfernung standen.
»Lass sie los«, befahl der Tätowierte Mann, als er Gared und die hysterische Frau erreichte. Gared gehorchte prompt und die völlig aufgelöste Frau sank auf die Knie und umklammerte die Knöchel des Tätowierten Mannes.
»Bitte, Erlöser!«, beschwor sie ihn. »Meine Schwester erwartet ein Kind; die Schwangerschaft ist so weit fortgeschritten, dass sie nicht mehr auf einem Pferd sitzen kann. Sie und unsere alten Eltern konnten mit unserer Gruppe nicht Schritt halten, deshalb beschlossen unsere Ehemänner, ich sollte mit den Kindern bei dem Trupp bleiben, während sie langsamer hinterherkamen.«
»Aber bis jetzt sind sie noch nicht eingetroffen«, schlussfolgerte der Tätowierte Mann.
»Gleich wird es dunkel«, schluchzte die Frau. Ihre Tränen tropften auf seine Füße, und sie krallte die Finger in den Saum seines Gewandes. »Bitte, Erlöser, rette sie.«
Der Tätowierte Mann beugte sich hinunter, legte eine Hand unter ihr Kinn und zog sie sanft auf die Füße. »Ich bin nicht der Erlöser«, erklärte er. »Aber ich schwöre dir, ich rette deine Familie, wenn ich kann.«
Er wandte sich an Gared: »Such zwei Bogenschützen aus, die bei Erny bleiben, bis das Siegelnetz vollständig ist. Alle anderen kommen mit mir.« Gared nickte, und wenige Augenblicke später donnerten sie aus dem Lager, in einem noch schärferen Tempo als zuvor.
Als sie sie fanden, war es schon dunkel; fünf Leute, wie die verzweifelte Frau gesagt hatte. Sie standen in einem winzigen behelfsmäßigen Bannzirkel, umgeben von Dutzenden Horclingen. Flammendämonen
spien Feuer, und aus der Luft stießen Winddämonen herab. Alle überragend, hatte sich sogar ein Felsendämon vor dem Zirkel aufgebaut.
Jedes Mal, wenn die Dämonen angriffen und die Siegel ihre magische Energie entluden, entdeckte Rojer Lücken in dem Netz; Löcher, die so groß waren, dass ein Dämon sich hindurchzwängen konnte.
Die beiden jungen Männer hatten sich vor diese Breschen gestellt und stachen mit Mistgabeln zu, um die Horclinge zu vertreiben; ein älteres Paar kümmerte sich um die Frau, wegen der man sich vom Treck der Flüchtlinge hatte absondern müssen.
Die werdende Mutter lag mitten im Zirkel und gebar ihr Kind.
Der Tätowierte Mann stieß ein wildes Knurren aus und spornte seinen Hengst zu einem noch rasanteren Galopp an, so dass er seine Gefährten weit zurückließ. Er riss sich sein Gewand vom Leib, das hinter ihm zu Boden flatterte. Gared und die anderen Holzfäller stimmten ein ohrenbetäubendes Gebrüll an und folgten ihm.
Der Tätowierte Mann trieb Schattentänzer direkt in den Felsendämon hinein; die mit Siegeln versehenen Metallspitzen, die am Stirnriemen des Pferdes festgeschweißt waren, knisterten vor Energie, als sie den schwarzen Panzer des Dämons in Bauchhöhe durchstießen. Als der Dämon nach hinten taumelte, sprang der Tätowierte Mann von seinem Pferd und hielt den Horcling an einem seiner Hörner fest, damit er von den wuchtigen Hufen niedergetrampelt werden konnte. Noch während
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