Das Flüstern der Nacht
Stadtsprecher angehört? Das sähe ja aus, als zolle man dem Efeuthron nicht den gebührenden Respekt. Man könnte es als Brüskierung auffassen.«
»Ich versichere Euch, nichts liegt uns ferner, als den Herzog zu beleidigen«, beteuerte Leesha.
»Es fällt schwer, das zu glauben«, wandte Thamos ein. »Euer Sprecher hätte trotz der angespannten Lage hier in Erscheinung treten können. Das Tal der Holzfäller liegt nur sechs Nächte von hier entfernt.« Er warf dem Tätowierten Mann einen misstrauischen Blick zu. »Aber es scheint, als sei das Tal des Erlösers weiter weggerückt.«
»Was verlangt Ihr von mir, Hoheit?«, fragte Leesha. »Soll ich zwei Wochen Zeit vergeuden und Smitt holen, wenn eine Armee vor euren Stadttoren steht?«
Prinz Thamos prustete verächtlich durch die Nase.
»Bitte übertreibe nicht, Leesha Papiermacher«, säuselte Janson, immer noch schreibend. »Die herzogliche Familie ist über die krasianischen Überfälle auf Rizon umfassend informiert, aber eine Bedrohung für das angieranische Land lässt sich kaum erkennen.«
»Noch nicht«, warf der Tätowierte Mann ein. »Aber das wird sich ändern. Das waren keineswegs simple Überfälle; Fort Rizon und seine über das Umland verteilten Dörfer, die Kornkammer von ganz Thesa, befinden sich nun in der Hand der Krasianer. Mindestens ein Jahr lang werden sie dortbleiben, rizonische Truppen ausheben und sie für den Kampf drillen. Danach ziehen sie weiter, um Lakton mitsamt seinen Ortschaften zu erobern. Es kann noch Jahre dauern, bis sie sich nach Norden wenden und auf Eure Stadt zumarschieren, aber ich versichere Euch, dieser Tag wird kommen, und dann braucht Ihr Verbündete, wenn Ihr Euch zur Wehr setzen wollt.«
»Fort Angiers fürchtet sich nicht vor einer Handvoll Wüstenratten, selbst wenn deine Schauermärchen wahr sein sollten!«, bellte Thamos.
»Hoheit, bitte!«, quiekte Janson. Als der Prinz verstummte, wandte sich Janson wieder an den Tätowierten Mann. »Darf ich fragen, wie es kommt, dass du über die krasianischen Pläne so gut im Bilde bist, Flinn Holzfäller?«
»Befindet sich in Euren Archiven eine Kopie des Heiligen Buchs der Krasianer, Minister?«
Jansons Blick glitt einen Moment lang zur Seite, als gehe er in Gedanken eine Liste durch. »Der Evejah, in der Tat.«
»Ich schlage vor, dass Ihr dieses Buch lest. Die Krasianer glauben, ihr Anführer sei der wiedergeborene Kaji, der Erlöser. Sie kämpfen den Krieg unter dem Antlitz der Sonne.«
»Ein Krieg unter dem Antlitz der Sonne?«, wiederholte Janson verstört.
Der Tätowierte Mann nickte. »Im Evejah wird ausführlich beschrieben, wie Kaji die bekannte Welt eroberte, bevor er die vereinten Truppen gegen die Horclinge hetzte. Jardir wird versuchen, seinem Beispiel zu folgen. Sein Vormarsch kann unterbrochen werden durch Zeiten der Einigung, in denen die unterworfenen Völker auf das Evejanische Gesetz eingeschworen werden, aber es wäre töricht, auch nur eine Sekunde lang anzunehmen, dass er seinen Eroberungszug nicht weiter fortsetzen wird.«
Der Prinz starrte ihn voller Ablehnung an, aber aus Jansons Gesicht wich langsam alle Farbe. Trotz des kühlen Frühlingsmorgens brach ihm auf der Stirn der Schweiß aus. »Für einen Holzfäller kennst du dich mit den Gepflogenheiten des krasianischen Volkes ja sehr gut aus, Flinn«, bemerkte er.
»Ich verbrachte eine gewisse Zeit in Fort Krasia«, erklärte ihm der Tätowierte Mann kurz und bündig. Janson machte eine weitere Notiz in seiner seltsamen Kurzschrift.
»Ihr seht also, warum wir unbedingt mit Seiner Gnaden sprechen müssen, Minister«, erklärte Leesha. »Die Krasianer können es sich leisten, Zeit verstreichen zu lassen. Mit seinen Getreidespeichern verfügt Rizon über Nahrungsmittelvorräte, um eine Armee endlos lange zu verpflegen; vor allen Dingen, wenn sie verhindern, dass Lebensmittel in den Norden transportiert werden.«
Janson schien ihren Einwand gar nicht gehört zu haben. »Es gibt Leute, die glauben, du seist der Erlöser«, richtete er das Wort an den Tätowierten Mann.
Thamos schnaubte. »Und ich bin ein freundlicher Horcling«, höhnte er.
Der Tätowierte Mann ließ sich nicht von ihm ablenken, sondern hielt den Blickkontakt mit dem Minister. »Ich habe so etwas nie von mir behauptet, Lord Janson.«
Janson nickte, und die Feder kratzte wieder emsig über das Papier. »Seine Gnaden wird erleichtert sein, das zu hören. Aber was diese Kampfsiegel betrifft …«
»Die Kampfsiegel
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