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Das Flüstern der Nacht

Das Flüstern der Nacht

Titel: Das Flüstern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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sich auch weiterhin um die Flüchtlinge aus Fort Rizon zu kümmern. Konnte sie da überhaupt von ihm erwarten, dass er die Belange der Stadt über seine eigenen Bedürfnisse stellte?
    Über ihren Köpfen wölbte sich die hohe Decke der Eingangshalle, aber kein einziger Bittsteller hielt sich in dem weitläufigen Raum auf. Der Prinz führte sie von dem Thronsaal weg, durch Korridore, die reich mit Teppichen ausgelegt waren, und an deren Wänden zahlreiche Gobelins und Ölgemälde hingen. Sie gelangten in ein Wartezimmer, in dem mit Samt bezogene Sofas standen, und in einem Marmorkamin brannte ein gewaltiges Feuer. »Bitte wartet hier, bis der Herzog für euch Zeit findet«, wandte sich Thamos an den Tätowierten Mann. »Gleich kommen Diener mit Erfrischungen.«
    »Danke«, erwiderte der Tätowierte Mann, und dann eilte auch schon ein Bediensteter mit einem Tablett voller Getränke und kleinen Schnittchen herbei. Vor der Tür standen zwei Holzsoldaten in strammer Haltung, die Speere zum Zustoßen bereit.

    Die Zeit verging, ohne dass sich etwas tat. Rojer, der sich langweilte, fing an, mit leeren Teetassen zu jonglieren. »Was glaubt ihr, wie lange Rhinebeck uns warten lässt?«, fragte er, während seine Füße rhythmisch auf den Boden trommelten, als er hin und her hüpfte, um mit seiner verkrüppelten Hand die zierlichen Tässchen werfen und fangen zu können.
    »Lange genug, um uns zu zeigen, dass er die Zügel in der Hand hält«, erwiderte der Tätowierte Mann. »Herzöge lassen jeden warten. Je wichtiger die Besucher sind, umso länger lässt man sie die Fäden im Teppich zählen. Es ist ein ermüdendes Spiel, aber wenn es Rhinebeck ein Gefühl der Sicherheit verschafft, soll er sich ruhig damit vergnügen.«
    »Ich hätte meine Stickarbeit mitbringen sollen«, meinte Leesha.
    »Ich habe massenhaft unfertiger Stickereien, meine Liebe«, sagte plötzlich eine Stimme hinter ihr. »Ich fange gern irgendwelche Muster an, aber irgendwie bringe ich sie nie zu Ende.« Leesha drehte sich um und sah Minister Janson in der Tür stehen; er stützte eine würdevoll aussehende Frau, die Ende siebzig zu sein schien.
    Rojer fuhr vor Schreck zusammen und Leesha krümmte sich innerlich, als eine der Tassen, mit denen er jonglierte, auf den Boden fiel. Zum Glück prallte sie von dem dicken Teppich ab, ohne zu zerbrechen.
    Die Frau strafte Rojer mit einem Blick, auf den Elona stolz gewesen wäre. »Arrick ist wohl nie dazu gekommen, dir Manieren beizubringen, oder?« Rojers Gesicht wurde noch röter als sein Haar.
    Die Frau war klein, selbst für eine Angieranerin, kaum fünf Fuß groß von der weißen krasianischen Spitze am Saum ihres gebauschten, grünen Samtkleids bis zu dem Reif aus lackiertem Holz, der ihr zu einer strengen Frisur hochgestecktes graues Haar krönte. Die Zacken des Reifs schlossen mit einem Goldrand ab, in
den Edelsteine eingelassen waren. Sie war gertenschlank und stand leicht gebeugt, während sie sich auf den Arm des Ersten Ministers stützte. Die Hände, die sich an ihn klammerten, waren von runzliger, durchscheinender Haut überzogen. An einem Samtbändchen um ihren Hals hing ein Smaragd von der Größe einer Kinderfaust.
    »Bitte gestattet mir, euch Ihre Gnaden vorzustellen, Lady Araine, Herzoginmutter, Mutter Seiner Gnaden, Herzog Rhinebeck des Dritten, Hüter der Waldfestung …«
    »Ja, ja«, unterbrach Araine ihn. »Jeder kennt die Titel meines Sohnes, und während Ihr sie zum tausendsten Mal in dieser Woche wiederholt, werde ich nicht jünger, Janson.«
    »Ich bitte vielmals um Vergebung.« Janson neigte ein wenig den Kopf.
    Leesha knickste bei der Vorstellung und die Männer verbeugten sich. Wonda, die eine Kniehose trug, hatte keine Röcke, die sie abspreizen konnte, und sie nahm eine linkische Haltung an, die weder eine Verbeugung noch ein Knicks war.
    »Wenn du dich schon kleidest wie ein Mann, dann verneige dich auch wie ein solcher«, bemerkte Araine streng. Wonda wurde rot und kippte den Oberkörper nach vorn.
    Die Herzoginmutter brummte zufrieden vor sich hin und wandte sich dann an Leesha. »Ich bin gekommen, um dich vor diesen leidigen Männerangelegenheiten zu retten, meine Liebe.« Mit einem Blick auf Wonda fügte sie hinzu: »Und dich auch, Mädchen.«
    »Entschuldigung, Euer Gnaden«, wandte Leesha ein und sank wieder in einen Knicks, »aber ich diene dem Tal des Erlösers als Sprecherin und muss bei der Audienz zugegen sein.«
    »Unsinn!« Araine schnalzte missbilligend mit der

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