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Das Flüstern der Nacht

Das Flüstern der Nacht

Titel: Das Flüstern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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die Sitze im Rat an die ältesten und weisesten Einwohner jedes Dorfes, die in jedem Jahr wiedergewählt wurden; ein Wechsel kam nur selten vor, es sei denn, jemand starb.
Fernan Torfstecher hatte Torfhügel fast zehn Jahre lang im Rat vertreten, und es galt als selbstverständlich, dass nun seine Witwe seinen Platz einnahm.
    Meada Torfstecher kam als Nächste, im Gefolge mindestens fünfzig Einwohner von Torfhügel, die sich über den ganzen Platz verteilten. Sie war in Begleitung von Lucik, dessen Arm in einer Schlinge lag, und Beni, die ein schwarzes Umschlagtuch über den Schultern trug, als Zeichen dafür, dass sie um ihren Vater trauerte. Zusammen mit ihnen fanden sich Fürsorger Harral und zwei seiner Schüler ein.
    »Dass du deinen verletzten Jungen hier zur Schau stellst, wird dir keine Sympathien einbringen«, warnte Raddock Meada, als sie ihre Tasse in Empfang nahm und sich setzte.
    »Du findest, dass ich meinen Lucik zur Schau stelle?«, spottete Meada. »Und das sagt der Mann, der von einem Ende der Stadt zum anderen geritten ist und dabei ein blutiges Kleid wie eine Fahne geschwenkt hat?«
    Raddock schob angriffslustig das Kinn vor, aber zu einer Entgegnung kam er nicht mehr, weil Brine Holzfäller, auch Brine der Breite genannt, den Gehweg hochstapfte. »Ay, meine Freunde!«, dröhnte Brine und duckte sich, um sich nicht den Kopf am Verandadach zu stoßen. Er umarmte die Frauen herzlich und drückte die Hände der Männer, bis es wehtat.
    Brine hatte das Massaker bei den Holzfällerhütten überlebt und war danach wochenlang in eine Starre verfallen, die Rennas gegenwärtigem Zustand glich. Trotzdem vertrat er nun voller Stolz den Weiler am Wald als Sprecher. Seit fast fünfzehn Jahren war er nun Witwer, aber er hatte nie wieder geheiratet, egal, wie oft man ihn dazu gedrängt hatte; er meinte, es wäre seiner verstorbenen Ehefrau und seinen ebenfalls umgekommenen Kindern gegenüber nicht gerecht. Man behauptete von ihm, die Treue sei so fest in ihm verwurzelt wie die Bäume, die er fällte, mit dem Boden verwachsen waren.

    Eine Stunde später schlurfte Coran Sumpfig den Weg entlang, der sich schwer auf seinen Stück stützte. Mit achtzig Sommern gehörte er zu den ältesten Einwohnern von Tibbets Bach, und man erwies ihm jede nur erdenkliche Höflichkeit, während sein Sohn Keven und sein Enkel Fil ihm die Stufen hinaufhalfen. Alle gingen barfuß, wie es die Einwohner von Sumpfland gewöhnt waren. Coran hatte keine Zähne mehr im Mund und wirkt überaus gebrechlich, doch seine dunklen Augen blickten immer noch scharf, als er den anderen Sprechern zunickte.
    Dann trudelte Mack Weide ein, an der Spitze einer recht großen Schar von Bauern, der auch Jeph Strohballen angehörte. Als sie die Veranda erreichten, beugte sich Jeph zu Selia hinüber.
    »Mack kommt ohne Vorurteile gegen Renna«, flüsterte er ihr zu. »Er hat mir versprochen, gerecht zu urteilen, und wenn die Fischer-Sippe noch so einen Radau veranstaltet.« Selia nickte, und Jeph stellte sich zu Ilain, Beni und Lucik auf die Seite der Veranda, die der gegenüber lag, an der Garric und Nomi Fischer standen.
    Während der Morgen voranschritt, erfüllte ein allgemeines Summen die Luft, und es wurde klar, dass nicht nur Fischweiher nahezu vollständig angerückt war. Hunderte von Menschen flanierten auf den Straßen, bemüht, Gleichgültigkeit zu heucheln, während sie auf ihrem Weg zum Schneider, Schuster oder einem anderen der zahlreichen Läden, die den Platz säumten, zu Selias Veranda hinschielten.
    Als Letzte trafen die Südwächter ein. Südwache war das am weitesten abgeschiedene Dorf, das zum Gemeinwesen Tibbets Bach gehörte, praktisch eine Ortschaft für sich mit fast dreihundert Einwohnern, einer eigenen Kräutersammlerin und einem Heiligen Haus.
    In geordnetem Aufmarsch pilgerten sie heran, in der für sie typischen strengen Kleidung. Sämtliche Männer aus Südwache ließen sich Vollbärte wachsen, und sie trugen schwarze Hosen mit schwarzen Trägern über einem weißen Hemd. Eine dicke schwarze
Jacke, ein schwarzer Hut und schwarze Stiefel vervollständigten die Tracht, selbst in der größten Hitze des Sommers. Alle Frauen gingen in schwarzen Kleidern, die von den Knöcheln bis zum Kinn reichten, darüber eine weiße Schürze und auf dem Kopf eine weiße Haube. Wenn sie nicht arbeiteten, gehörten weiße Handschuhe und ein Sonnenschirm zur Garderobe. Sie hielten die Köpfe gesenkt und alle zeichneten unentwegt Siegel in die Luft,

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