Das Flüstern der Nacht
sie bei mir war«, bestätigte Ilain. Beni sah Renna an und fing an zu weinen.
»Könntest du uns vielleicht einen Moment lang allein lassen, Sprecherin?«, bat Jeph.
»Selbstverständlich.« Selia verließ die Kammer und zog die Tür hinter sich zu.
Jeph hielt sich zurück, als Ilain und Beni zu ihrer Schwester gingen. Sie sprachen gedämpft miteinander, aber Jeph konnte aus dreißig Yards Entfernung einen Maulwurf hören, der in seinen Feldern buddelte, und er verstand jedes Wort.
»Sie hat es getan«, flüsterte Beni. »Ich glaube niemals, dass sie Cobie Fischer umgebracht hat, aber sie fürchtete sich zu Tode vor dem, was Dad ihr antun könnte, wenn sie mit ihm allein blieb. Sie hat mich angefleht, sie mit zu uns zu nehmen …« Wieder brach sie in Tränen aus, und auch Ilain fing an zu schluchzen. Sie hielten einander umschlungen, bis sie sich gefasst hatten.
»Oh Ren«, jammerte Ilain, »warum musstest du ihn töten? Ich hab’s immer still erduldet.«
»Du hast nie irgendwas still erduldet«, fuhr Beni sie an. »Du hast es gemacht wie ich, dich hinter dem erstbesten Mann versteckt. Und wir beide sind davongekommen, weil wir ein Mädchen bei Dad zurückgelassen haben.«
Erschrocken starrte Ilain sie an. »Ich hätte nie gedacht, dass er sich an dir vergreifen würde«, stotterte sie und streckte eine Hand nach Beni aus. »Ich dachte, du wärst zu jung.«
Beni schlug die Hand weg. »Du hast es gewusst!«, fauchte sie. »Schon damals hatte ich größere Brüste als die meisten verheirateten Frauen, und ich war alt genug, um versprochen zu werden. Du hast es gewusst, und trotzdem bist du gegangen. Weil du mehr an dich gedacht hast als an deine Schwestern.«
»Und hast du dich anders verhalten?«, warf Ilain ihr vor. »Du warst doch nicht besser als ich!«
Sie gingen aufeinander los, aber im Nu war Jeph bei ihnen und trennte sie. »Hört auf damit!«, zischte er. Er hielt sie auf Armeslänge von sich und starrte sie finster an, bis sie die Lider senkten. Als er sie dann wieder losließ, war ihre Kampfeslust verflogen.
»Vielleicht wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, um das Ganze vor dem Rat zur Sprache zu bringen«, meinte er. Beide Frauen starrten ihn entgeistert an. »Erzählt einfach, was für ein Mann Harl war«, mit dem Kinn deutete er auf Renna, »vielleicht bestraft man sie dann nicht für das, was sie getan hat.«
Ilain sackte auf den Stuhl neben Renna und verarbeitete diesen Gedanken, während Beni fauchte: »Verlangst du etwa von mir,
dass ich mich vor Leuten wie Raddock Advokat und Luciks Mam hinstelle und sage, mein Dad hat es mit seinen Töchtern getrieben als wären sie seine Ehefrauen? Soll ich dieses Geheimnis dem Schenkenwirt und dieser alten Klatschbase Coline anvertrauen? Bei der Nacht, wie könnte ich danach meinem eigenen Mann je wieder in die Augen sehen, geschweige denn mich hoch erhobenen Hauptes in der Stadt blickenlassen? Das könnte keine von uns! Was passiert ist, ist schon schlimm genug, aber noch schlimmer wäre es, wenn alle darüber Bescheid wüssten!«
»Sogar noch schlimmer, als mit ansehen zu müssen, wie eure Schwester an den Pfahl gebunden und getötet wird?«, fragte Jeph.
»Selbst wenn wir es erzählen«, erwiderte Beni, »garantiert das noch lange nicht, dass nur ein einziges Ratsmitglied seine Meinung ändern würde. Dann könnte es sehr gut sein, dass drei Schwestern hingerichtet werden und nicht nur eine.«
Jeph schaute zu Ilain hinüber, die ganz still dasaß, während das Bild, das Beni gerade beschrieben hatte, durch ihren Kopf geisterte. »Ich finde, es ist schlimmer, wenn jeder es weiß«, sagte sie leise. Beim letzten Wort brach ihre Stimme. Jeph trat zu ihr, sank auf ein Knie und hielt sie in den Armen, während sie weinte.
»Du solltest in dieser Sache auch lieber deinen Mund halten, Jeph Strohballen«, meinte Beni.
Jeph musterte seine weinende Frau und nickte. »Es steht mir nicht zu, diese Entscheidung für euch zu treffen. Ich werde schweigen.«
Ilain sah Renna an und stöhnte; ihr Gesicht verzerrte sich noch mehr. »Es tut mir leid!«, schluchzte sie und stürzte aus dem Zimmer.
»Was ist mit dir, meine Liebe?«, fragte Selia, als Ilain aus der Spinnstube taumelte.
»Es zerreißt mir das Herz, sie in diesem Zustand zu sehen«, murmelte Ilain.
Selia nickte, aber sie gab sich noch nicht zufrieden. »Setz dich.« Sie zeigte auf einen Stuhl in ihrer Wohnstube. »Ich brühe einen Tee auf.«
»Danke, Sprecherin«, erwiderte Ilain, »aber wir
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