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Das Flüstern der Nacht

Das Flüstern der Nacht

Titel: Das Flüstern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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haben noch verschiedene Dinge zu erledigen …«
    »Setz dich!«, wiederholte Selia, aber dieses Mal war es kein Angebot, sondern ein Befehl. Ilain gehorchte umgehend, als sich der Tonfall änderte. »Und ihr nehmt auch Platz«, fügte Selia hinzu, als Beni und Jeph die Stube betraten.
    »Morgen trifft sich der Stadtrat«, begann Selia, nachdem der Tee serviert worden war. »Höchstwahrscheinlich sehr früh. Wenn Renna sich bis dahin immer noch nicht äußert, womit ich stark rechne, wird Raddock ein Urteil ohne ihre Aussage verlangen. Und da so vieles gegen sie spricht, es aber nichts gibt, was sie entlastet, wird er sich wohl damit durchsetzen können. Ich werde mich bemühen, einen Aufschub zu bewirken, bis es ihr wieder bessergeht, aber die Entscheidung darüber liegt beim Rat.«
    »Was glaubst du, wie das Urteil lauten wird?«, fragte Jeph.
    Selia seufzte. »Ich bin mir nicht sicher. So etwas hat es hier noch nie zuvor gegeben. Aber die Fischer-Sippe hat sich bewaffnet, und den Bewohnern von Sumpfland und Südwache liefert dieser Fall einen Grund mehr, zu predigen, man solle die jungen Leute von Stadtplatz und seinen Versuchungen fernhalten. Der Fürsorger und Meada werden sich nicht gegen das Mädchen wenden, aber wie die anderen sich verhalten werden, lässt sich unmöglich vorhersagen. Ich befürchte, dass man sie am nächsten Baum aufhängen wird und Garrick die Schlinge knüpft.«
    Ilain stieß einen erstickten Schrei aus.
    »Das ist kein geringes Verbrechen, Mädchen«, wandte sich Selia an sie. »Zwei Männer sind tot, und für einen fordern seine aufgebrachten Verwandten blutige Rache. Ich werde darauf beharren,
dass berechtigte Zweifel an Rennas Schuld bestehen, aber Gesetz ist Gesetz. Hat der Rat erst einmal abgestimmt, bleibt einem gar nichts anderes übrig, als sich dem Urteil zu beugen.«
    Sie musterte Beni und Ilain scharf. »Wenn es also etwas gibt - irgendetwas - das mir helfen könnte, wenn ich mich für das Mädchen einsetze, dann muss ich es jetzt wissen.«
    Beide Schwestern sahen Jeph an, doch keine äußerte sich.
    Selia schniefte. »Jeph, Mack Weide spricht im Rat für die Bauern. Geh ihn besuchen; versuch, aus ihm herauszukriegen, wofür er stimmen wird. Sorge dafür, dass er die Tatsachen erfährt und sich nicht nach den Räubergeschichten richtet, die Raddock unter die Leute bringt.«
    »Bis zu Macks Hof ist es ein weiter Weg«, erwiderte Jeph. »Nur um hinzukommen werde ich den Rest des Tages brauchen.«
    »Dann übernachte dort und nutze deine Zeit klug«, forderte Selia ihn auf; der Befehlston war in ihre Stimme zurückgekehrt. Mit einem Kopfnicken wies sie auf die Tür. »Brich umgehend auf. Ich kümmere mich darum, dass Ilain und Beni sicher nach Hause kommen.«
    Jeph schaute nervös zu Ilain hin, dann nickte er. »Ja, Sprecherin«, erwiderte er und verließ das Haus.
    Selia richtete das Wort wieder an die beiden Schwestern, hielt den Blick jedoch gesenkt. »Ich habe oft über euren Dad nachgedacht«, begann sie, während sie einen Butterkeks aus dem Topf nahm, der auf dem Tisch stand. »Ich habe gelernt, einen Mann zu beobachten, dessen Ehefrau von den Horclingen geholt wurde. Manchmal … drehen sie ein bisschen durch. Werden unberechenbar. Ich habe die Leute gebeten, ein Auge auf Harl zu halten, aber euer Dad liebte es, sich abzusondern, und in den ersten Jahren schien ja alles gutzugehen.« Sie tunkte den Keks in ihren Tee, den Blick immer noch auf ihre Hände gerichtet.
    »Doch dann, Ilain, als du mit Jeph durchgebrannt bist, obwohl seine verstorbene Frau noch nicht einmal eingeäschert war, fing
ich wieder an, mir Gedanken zu machen. Wovor bist du weggelaufen? Und der Harl, den ich kannte, hätte ein paar Männer geholt und dich zurück nach Hause geschleift, auch wenn du dich mit Händen und Füßen gewehrt hättest. Ich hatte nicht übel Lust, es selbst zu tun.« Sie aß mit schnellen, säuberlichen Bissen den feuchten Keks und tupfte sich die Lippen adrett mit einer Serviette ab. Ilain starrte sie nur mit offenem Mund an.
    »Aber er ließ dich gehen«, fuhr Selia fort, legte die Serviette beiseite und sah Ilain in die Augen. »Warum?« Ilain krümmte sich innerlich unter Selias bohrenden Blicken, aber sie senkte die Lider und schüttelte den Kopf.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete sie.
    Selia runzelte die Stirn und nahm sich noch einen Keks. »Und dann waren da die vielen Freier, die zu euch hinauskamen, weil sie um Renna werben wollten.« Wieder betrachtete sie ihre

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