Das Flüstern der Nacht
Wunder, dass der Schöpfer zornig auf uns wurde.«
Der Tätowierte Mann überging diese Bemerkung. »Wird Euchor versuchen, sie nachzubauen?«
»Die zerstörerischsten Waffen können wir gar nicht mehr herstellen, dazu brauchte man riesige Raffinerien und lektrische Kraft«, erläuterte Ronnell. »Trotzdem gibt es eine ganze Menge Waffen, die jeder bauen kann, der Zugang zu einfachen Chemikalien und einer Stahlschmiede hat. Dieses Buch«, er deutete auf den Band, den der Tätowierte Mann in den Händen hielt, »beschreibt diese
Kriegsgeräte in allen Einzelheiten und auch deren Anfertigung. Nimm es.«
Der Tätowierte Mann wölbte eine Augenbraue. »Was wird Euchor sagen, wenn er erfährt, dass es weg ist?«
»Er wird toben und verlangen, dass ich aus den Originaltexten ein neues erstelle.« Mit einer Handbewegung wies er auf die Reihen von gläsernen Bücherschränken. In dieses Glas hatte der Tätowierte Mann vor langer Zeit einmal selbst die Siegel eingeritzt.
Fürsorger Ronnell folgte seinem Blick. »Als die Bannzeichnergilde anfing, Glas mit Dämonenmagie aufzuladen, ließ ich sie alle in die Nacht hinaustragen. Deine Siegel haben diese Schränke unzerstörbar gemacht. Ein weiteres Wunder.«
»Du darfst niemandem verraten, wer ich bin. Dadurch könntest du jeden gefährden, der mich früher gekannt hat.«
Ronnell nickte. »Fürs Erste genügt es, dass ich Bescheid weiß.«
Hätte er Ronnell sein wahres Ich nicht enthüllt, hätte Mery ihren Vater vermutlich aufgeklärt; aber nie und nimmer hatte er damit gerechnet, dass dieser strenge Mann allen Ernstes glauben könnte, er, Arlen Strohballen, sei der wiedergekehrte Erlöser. Der Tätowierte Mann runzelte besorgt die Stirn, als er das Buch in seine Tasche steckte.
Es war in der letzten Nacht des Neuen Mondes, als der Seelendämon dem Tätowierten Mann nach Fort Miln folgte. Der Horcling-Prinz konnte nur während der drei dunkelsten Nächte des Zyklus an die Oberfläche steigen, doch er nahm schnell die Spur seiner Beute auf und folgte der in der Luft hängenden Witterung, obwohl die Spur bereits mehrere Tage alt war. Es war ein außergewöhnlicher Duft - nicht ganz menschlich und erhitzt von geraubter Horc-Magie.
Vom Rücken seines geflügelten Mimikrydämons aus starrte der Seelendämon auf das Netz hinunter, das die Brutstätte der Menschen überspannte. Die Mauern besaßen kraftvolle Siegel, aber in den magischen Linien, die kreuz und quer zwischen den Hausdächern verliefen, klafften große Lücken. Eine geflügelte Drohne, die dieses Netz nicht sehen konnte, wenn es nicht gerade durch einen Horcling-Angriff Energie versprühte, hätte sie niemals gefunden, es sei denn durch einen Zufall; aber der Horcling-Prinz erkannte deutlich das Muster, und lenkte so den Mimikry durch den Spalt in die Stadt hinein.
Die Fenster waren mit Läden verrammelt, die Straßen düster und leer. Der Seelendämon fühlte den Sog, als die Haussiegel versuchten, seine Magie anzuzapfen, doch der Mimikry glitt so rasch vorbei, dass ihnen kein Zugriff gelang. Überall in der Stadt waren plumpe Siegelnetze ausgelegt, aber der Horcling-Prinz wich ihnen mit derselben Leichtigkeit aus, mit der ein Mensch eine Pfütze umgeht.
Dem unsichtbaren Pfad in der Luft folgend, durchquerten sie die Stadt. Vor einer großen Bastion hielten sie inne, doch nach einem kurzen Schnüffeln am Portal stand fest, dass dies nicht ihr endgültiges Ziel war. Danach gelangten sie zu einem gigantischen Gebäude, dessen Siegel so viel Kraft verströmten, dass der Horcling-Prinz wütend zischte, als er selbst aus der Ferne ihren Sog fühlte. Im Kern jeder Brutstätte gab es mindestens einen solcher Orte, Stätten, die man am besten mied, und seine Beute war dort ohnehin nicht geblieben. Eine frischere Duftspur führte von diesem Gebäude weg.
Die Fährte endete an einem anderen Siegelwall; dieser jedoch war meisterhaft erstellt und wies keinen einzigen Fehler auf. Die Symbole waren nicht auf ihre spezielle Art abgestimmt, aber der Horcling-Prinz wusste, dass sie dennoch zum Leben erwachen und große Schmerzen verursachen würden, sollten er oder sein Mimikry versuchen, das Netz zu durchdringen. Der Dämon musste
zuerst einige der Siegel zerstören, damit sie die Barriere gefahrlos passieren konnten.
Lautlos schwebten sie an dem Bauwerk empor, und durch eines der Fenster erspähte der Seelendämon endlich seine Beute. Die anderen Personen, die sich in seiner Gesellschaft befanden, waren langweilige,
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