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Das Flüstern der Nacht

Das Flüstern der Nacht

Titel: Das Flüstern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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Hand auszustrecken, deshalb setzte er sich einfach neben ihn auf den Felsen. »Der Jaik, den ich auf diesem Hügel traf, hätte nie die Ausgangssperre missachtet.«
    Jaik zuckte die Achseln. »Es ging eben nicht anders. Ich wusste ja, dass du dich im Morgengrauen wieder auf und davon machen würdest.«
    »Hat Ragens Bote dir nicht meine Briefe gebracht?«, erkundigte sich der Tätowierte Mann.
    Jaik zog das Bündel heraus und warf es auf den Boden. »Du weißt doch, dass ich nicht lesen kann.«
    Der Tätowierte Mann seufzte. Er hatte es tatsächlich vergessen. »Ich ging zu deinem Haus, weil ich persönlich mit dir sprechen wollte«, versuchte er es weiter. »Ich hatte nicht erwartet, Mery anzutreffen, und sie war nicht gerade erpicht darauf, dass ich bleibe.«
    »Ich weiß«, erwiderte Jaik. »Sie kam zu mir in die Mühle gerannt, in Tränen aufgelöst. Hat mir alles erzählt.«
    Der Tätowierte Mann ließ den Kopf hängen. »Es tut mir leid.«
    »Das sollte es auch«, betonte Jaik. Eine Weile saß er schweigend da und schaute über das Land, das sich vor ihnen ausbreitete.
    »Ich wusste immer, dass ich für sie nur eine Notlösung war«, erklärte er schließlich. »Die zweite Wahl. Du warst ein Jahr fort, als sie anfing, ein bisschen mehr in mir zu sehen als eine Schulter, an der sie sich ausweinen konnte. Zwei Jahre danach erklärte sie sich dazu bereit, meine Frau zu werden, und dann dauerte es noch
ein Jahr, bis wir unser Gelübde sprachen. Und selbst an diesem Tag noch hielt sie den Atem an und hoffte, du kämest hereingestürmt, um die Zeremonie zu unterbrechen. Bei der Nacht, ich habe fast selbst damit gerechnet!«
    Er zuckte mit den Schultern. »Ich kann’s ihr nicht mal verübeln. Sie hat unter ihrem Stand geheiratet, und ich bin weder gebildet noch gebe ich äußerlich viel her. Als wir Jungen waren, bin ich dir aus einem bestimmten Grund überallhin gefolgt. Du konntest immer alles besser als ich. Ich hab’s nicht mal zustande gebracht, dein Jongleur zu werden.«
    »Jaik, ich bin überhaupt nicht besser als du«, widersprach der Tätowierte Mann.
    »Stimmt, das habe ich jetzt erkannt.« Jaik spuckte aus. »Ich bin ein besserer Ehemann als du je hättest sein können. Weißt du, warum? Weil ich für sie da war, und du nicht.«
    In dem Tätowierten Mann regte sich Groll, und jedes Gefühl von Zerknirschung fiel von ihm ab. Es hätte ihm nichts ausgemacht, wenn Jaik ihn beschimpft und gekränkt hätte, aber dieser herablassende Ton machte ihn wütend.
    »Das ist der Jaik, an den ich mich erinnere«, schoss er zurück. »Betritt die Bildfläche und leistet so wenig wie möglich. Ich habe gehört, Merys Dad musste in der Mühle ein gutes Wort für dich einlegen, damit du es dir leisten konntest, bei deinen Eltern auszuziehen.«
    Aber Jaik ließ sich nicht beirren. »Ich war für sie da!«, schnauzte er. »Mit meinen Gedanken und meinem Herzen. Deine Gedanken und dein Herz waren immer irgendwo da draußen.« Mit einer weit ausholenden Geste umfasste er den gesamten Horizont. »Warum gehst du nicht wieder dorthin zurück? Hier braucht keiner einen Erlöser.«
    Der Tätowierte Mann nickte und schwang sich wieder auf den Rücken seines Pferdes. »Gib gut auf dich acht, Jaik.« Dann ritt er davon.

24
    Brüder in der Nacht
    333 NR - Frühling
     
     
    H ey! Pass auf die Schlaglöcher auf, ich stimme gerade die Fiedel!«, zeterte Rojer, während der Wagen die Straße entlangschaukelte. Er hatte die antike Fiedel, die der Tätowierte Mann ihm geschenkt hatte, sorgfältig gesäubert und mit Wachs poliert, und im Gildehaus der Jongleure für viel Geld neue Saiten erstanden. Seine alte Fiedel hatte Meister Jaycob gehört, und wegen der billigen Machart musste er sie dauernd nachstimmen. Davor hatte er auf Arricks Fiedel gespielt, ein Instrument von feinerer Qualität, obwohl sein Meister viele Jahre lang auf ihr gespielt hatte und sie bereits ziemlich abgenutzt war, als Jasin Goldkehle und seine Lehrlinge sie zertrümmerten.
    Diese Fiedel hingegen, aus irgendeiner vergessenen Ruine geborgen, gehörte einer ganz anderen Klasse an. Der Hals und der Körper besaßen eine andere Krümmung, als Rojer es gewöhnt war, doch die Handwerkskunst war exquisit, und die vergangenen Jahrhunderte hatten dem Holz nichts anhaben können. Eine Fiedel, die es wert war, von einem Herzog gespielt zu werden.
    »Es tut mir leid, Rojer«, sagte Leesha, »aber die Straße scheint es nicht zu kümmern, dass du deine Fiedel stimmst. Ich weiß

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