Das Flüstern der Nacht
sie mit einem wütenden Blick und sie verstummte.
»Ja, das ist sie«, pflichtete Erny ihm bei.
»Mein Herr würde sie gern als seine Braut kaufen«, verkündete Abban. »Er hat mich ermächtigt, ihren Brautpreis auszuhandeln, und er will sich sehr großzügig zeigen.«
»Wie großzügig?«, fragte Elona.
»Das ist nicht von Belang!«, fauchte Erny. »Leesha ist nicht verkäuflich wie irgendein Pferd!«
»Selbstverständlich nicht«, wiegelte Abban ab und verbeugte sich. Er musste etwas Zeit gewinnen, um die Situation zu bewerten. Ernys Reaktion kam für ihn völlig unerwartet, und Abban konnte nicht einschätzen, ob er Erny beleidigt hatte oder es lediglich eine Taktik war, um den Preis in die Höhe zu treiben.
»Bitte vergib mir, wenn ich mich falsch ausgedrückt habe«, erwiderte er. »Wie es scheint, entziehen sich mir in kritischen Momenten die Feinheiten eurer Sprache. Ich wollte niemanden beleidigen.«
Erny schien besänftigt zu sein, und Abban legte das Lächeln in seine Züge, das schon Tausende von Kunden dazu verführt hatte, zu glauben, er sei ihr Freund. »Mein Herr ist sich der Tatsache bewusst, dass deine Tochter euren Stamm anführt und nicht irgendeine gewöhnliche Handelsware ist. Er beabsichtigt, ihr und eurem Stamm eine große Ehre zu erweisen, indem er euer Blut mit dem seinen vermischt. An seiner Seite wäre deine Tochter die Erste aller Frauen im Norden; sowohl am Hofe des Erlösers als auch in
seinem Bett bekäme sie die Gelegenheit, Einfluss zu nehmen und dadurch unnötiges Blutvergießen zu vermeiden, wenn mein Herr weiter in den Norden vorrückt.«
»Soll das eine Drohung sein?«, rief Erny. »Willst du damit sagen, dass dein Herr uns alle töten wird, um sie zu bekommen, wenn ich sie dir nicht verkaufe?«
Abban stieg die Hitze ins Gesicht. Er hatte Erny tatsächlich beleidigt, und zwar schwer. Der Par’chin hatte ihm immer gesagt, die Krasianer besäßen ein aufbrausendes Temperament, aber anscheinend war das Blut der Nordleute genauso schnell in Wallung zu bringen, wenn man die Wahrheit zu direkt aussprach.
Abban verbeugte sich tief und spreizte die Hände. »Bitte, mein Freund, lass uns noch einmal von vorn anfangen. Mein Herr will niemanden bedrohen oder kränken. In meinem Volk ist es die Pflicht eines Vaters, die Ehen seiner Töchter zu arrangieren. Zu dem Abkommen gehört, dass die Familie des Bräutigams den Vater und die Braut mit einer Gabe beschenken, die den Wert der Frau symbolisiert. Man gab mir zu verstehen, dass diese Gepflogenheit auch im Norden üblich ist.«
»Das stimmt«, mischte sich Elona ein, bevor Erny antworten konnte.
»Bei manchen Leuten mag das ja der Fall sein«, berichtigte Erny, »aber in diesem Sinne habe ich meine Leesha nicht erzogen. Wenn dein Herr mein Mädchen heiraten will, muss er um sie werben wie jeder andere auch. Und wenn sie entscheidet, dass sie ihn will, kann er an mich herantreten und um meinen Segen bitten.«
Abban kam das rückständig vor, aber das war unerheblich. Er verbeugte sich noch einmal. »Ich werde meinem Herrn deine Bedingungen darlegen. Meiner Einschätzung nach wird er unverzüglich anfangen, um deine Tochter zu werben.«
Erny bekam große Augen. »Ich sagte nicht … au!«, schrie er, als Elona ihm höchst indiskret die Fingernägel in den Arm grub. Abban bemerkte dies voll Interesse. Seine Gemahlinnen waren
keineswegs unterwürfig, aber niemals hätten sie es gewagt, ihn vor einem Kunden derart zu bevormunden.
»Es schadet niemandem, wenn er mit Blumen hier vorspricht«, erklärte sie. »Die Entscheidung liegt dann bei Leesha, wie du selbst gesagt hast.«
Erny sah sie eine geraume Weile an, dann seufzte er und nickte. Er nahm den Kartondeckel und stülpte ihn wieder über Leeshas Papier.
»Der Karton ist schwer«, meinte er. »Soll ich einen Jungen rufen, der ihn für dich trägt?«
Abban verneigte sich. »Ja, bitte.«
»Ich denke, die Jungen sind alle beschäftigt«, wandte Elona ein, »und ich wollte mir ohnehin ein bisschen die Beine vertreten. Ich kann das Papier tragen.«
Und schon wieder wurde Abban in tiefste Verwirrung gestürzt. In Krasia erwartete man von Frauen, solche körperlichen Arbeiten zu übernehmen, doch an der Art, wie Erny seine Gemahlin anstarrte, konnte Abban erkennen, wie schockiert er war.
Er betrachtete Elona, als sie um den Tresen herumkam; trotz ihrer vergehenden Jugend war sie immer noch schön. Vielleicht war sie eine Kissenfrau, der man leichte Pflichten übertrug, um sie in
Weitere Kostenlose Bücher