Das Flüstern der Nacht
unerträglich kalt, während in der Wüste beide Extreme vorherrschten; außerdem bot der Norden eine Vielfalt von Möglichkeiten, wie Abban sie sich nicht einmal hätte erträumen können. Überall bot sich ihm eine Gelegenheit, Profit zu machen. Seine Gemahlinnen und seine Kinder strichen bereits ein Vermögen in Everams Füllhorn ein, und der größte Teil der nördlichen Gefilde war noch nicht einmal erschlossen. In Krasia war er wohlhabend
gewesen und galt trotz seines Reichtums doch nur als halber Mann. Hier im Norden konnte er leben wie ein Damaji .
Nicht zum ersten Mal grübelte Abban darüber nach, was Ahmann in Wirklichkeit dachte. Hielt er sich tatsächlich für den Erlöser, und glaubte er allen Ernstes, solche Dinge wie eine Ehe mit dieser Frau seien Everams Wille, oder schob er diese Überzeugungen nur vor, um seine persönliche Macht zu stärken?
Jedem anderen Mann hätte Abban Letzteres unterstellt, aber Ahmann war schon immer fast bis zur Einfältigkeit ehrlich gewesen, und möglicherweise überkamen ihn wirklich diese Anwandlungen von Größenwahn.
Natürlich war es lächerlich, aber der Glaube an seine Göttlichkeit, der von fast jedem Mann, jeder Frau und jedem Kind in Krasia geteilt wurde, verlieh Ahmann eine solche Macht, dass es schon fast keine Rolle mehr spielte, ob er der Erlöser war oder nicht. So oder so diente Abban dem mächtigsten Mann der Welt, und obwohl die alte Freundschaft zwischen ihnen nicht mehr bestand, so waren sie doch wieder in das alte Muster verfallen.
Allerdings gab es in diesem Muster jetzt einen neuen Faden, die Damajah , und Abban war selbst ein viel zu raffinierter Intrigant, um einen Menschen seines eigenen Schlages nicht auf den ersten Blick zu durchschauen. Inevera benutzte Ahmann für ihre eigenen Zwecke, doch ihre Ziele blieben selbst Abban verborgen, der immerhin ein Vermögen mit seiner Fähigkeit verdient hatte, die geheimsten Wünsche in den Herzen anderer zu erkennen.
Die Damajah übte irgendeine dunkle Macht über Ahmann aus, doch ihre Stellung war keineswegs gesichert. Er war Shar’Dama Ka . Und wenn er den Befehl dazu gab, dann würden seine Leute nicht zögern, sie in Stücke zu reißen, nur um ihm zu gehorchen, gleichgültig, ob sie eine Dama’ting war oder nicht.
Natürlich hätte Abban sich gehütet, sich zwischen Ahmann und Inevera zu drängen. Er hatte viel zu lange überlebt, um einen
dermaßen törichten Fehler zu begehen. In dem Augenblick, in dem Inevera merkte, dass er sich ihr gegenüber nicht loyal verhielt, würde sie ihn wie einen Skorpion unter ihrer Sandale zerquetschen, und nicht einmal Ahmann konnte das verhindern. Abban stand so tief unter der Damajah wie sie unter Ahmann stand. Sogar noch viel tiefer.
Der einzige Mensch, der wirklich mit einer Frau fertigwird, ist eine Frau, hatte Abbans Vater ihm vor seinem Tod häufig erklärt. Es war ein guter Ratschlag gewesen.
Leesha Papiermacher würde das Fundament von Ineveras Macht erschüttern und Ahmann vielleicht für immer von dieser Ränkeschmiedin befreien. Und das Beste daran war: Die Damajah würde niemals erfahren, dass Abban seine Hand im Spiel hatte.
Abban grinste breit.
Abban war hocherfreut, als er merkte, dass Erny persönlich genauso geschickt feilschen konnte, wie er es durch seine Kuriere getan hatte. Abban verachtete jeden, der vom Schachern nichts verstand. Lediglich Ahmann schloss er von dieser Regel aus, denn es war keineswegs so, dass der nicht handeln konnte , er wollte es nur nicht.
Das Ergebnis war ein angemessener Preis, doch nachdem Abban ihn wie von Ahmann befohlen verdreifacht hatte, kam eine stattliche Summe heraus. Erny und seine Frau wirkten zufrieden, als Abban das Gold abzählte.
»Die gesamte Ware befindet sich hier drin.« Erny stellte den Karton mit Leeshas Papier, das mit gepressten Blumen verziert war, auf den Tresen und hob den Deckel ab.
Abban fuhr mit den Fingern leicht über das oberste Blatt und fühlte den Abdruck der kunstvoll arrangierten Blumen, die in das Gewebe eingebettet waren. Er schloss die Augen und sog den
Atem ein. »Nach so langer Zeit verströmt es immer noch einen süßen Duft«, schwärmte er mit einem Lächeln.
»Lagere es trocken, dann hält es ewig«, riet Erny. »Oder was einem Sterblichen wie eine Ewigkeit vorkommt.«
»Deine Tochter scheint von Everam gesegnet zu sein«, bemerkte Abban. »Sie ist in jeder Hinsicht vollkommen, wie ein himmlischer Seraph.«
Elona prustete durch die Nase, aber Erny streifte
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