Das Flüstern der Nacht
Frau zu bekommen?«, fragte Jardir. »Ich habe gemerkt, wie ihre Blicke auf mir ruhten. Glaubst du, sie besitzt die Freiheit einer dama’ting und darf sich ihren Ehemann selbst aussuchen, oder sollte ich mich an ihren Vater wenden?«
» Dama’ting genießen das Recht der freien Entscheidung, weil man ihre Väter nicht kennt«, erklärte Abban. »Meisterin Leesha hat uns jedoch offiziell mit ihrem Vater bekanntgemacht, und sie schenkte dir den Umhang, ein deutliches Zeichen, dass du um sie werben darfst. Eine gewöhnliche Jungfer hätte einem Bewerber ein hübsches Gewand geschenkt, aber ihre Gabe ist des Erlösers würdig.«
»Dann geht es jetzt also nur noch darum, mit ihrem Vater einen Brautpreis auszuhandeln«, meinte Jardir.
Abban schüttelte den Kopf. »Erny kann hart verhandeln, aber er dürfte das geringere Problem darstellen. Ich sehe eher das Problem, dass die Damajah der Verbindung nicht zustimmt und die Damaji sie in ihrer Ablehnung unterstützen.«
»Ich bringe jeden Damaji um, der sich mir in dieser Sache widersetzt, sogar Ashan.«
»Wie würde deine Armee es aufnehmen, Ahmann, wenn ihr Anführer wegen einer chin -Frau seine eigenen Damaji tötet?«, gab Abban zu bedenken.
Jardir verzog das Gesicht. »Was spielt das für eine Rolle? Und Inevera hat keinen Grund, diese Ehe zu missbilligen.«
Abban zuckte mit den Schultern. »Nun, ich denke mir, der Damajah wird es nicht so leichtfallen, diese Frau aus dem Norden zu dominieren, wie sie deine anderen Jiwah Sen beherrscht.«
Jardir wusste, dass Abban Recht hatte. Er hatte Inevera immer für die mächtigste Frau der Welt gehalten, aber diese Leesha aus dem Tal des Erlösers schien sich in jeder Hinsicht mit ihr messen zu können. Sie würde sich nicht mit der Rolle einer Nebenfrau zufriedengeben, aber etwas anderes käme für Inevera niemals infrage.
»Aber gerade wegen ihrer Stärke muss ich sie an meiner Seite haben, wenn ich die chin in den Sharak Ka führen will«, entgegnete Jardir. »Vielleicht kann ich sie heimlich heiraten.«
Abban schüttelte so heftig den Kopf, dass seine Hängebacken wackelten. »Die Damajah würde unweigerlich von diesem Bund erfahren, und sie könnte ihn mit einem einzigen Wort für nichtig erklären. Und das wiederum könnte Leeshas Stamm als eine unerträgliche Beleidigung betrachten.«
Jardir atmete tief durch. »Es gibt einen Weg. Dies ist Everams Wille. Ich kann es spüren.«
»Vielleicht …«, begann Abban, während er mit den Fingern die Locken seines eingeölten Barts durchkämmte.
»Ja?«, drängte Jardir voller Spannung.
Abban schwieg eine Weile, aber dann schüttelte er den Kopf und winkte ab. »Es war nur so ein Gedanke, der jedoch das Wasser nicht festhielt, als er gefüllt wurde.«
»Was für ein Gedanke?«, hakte Jardir nach, und sein Tonfall machte deutlich, dass er auf einer Antwort bestand.
»Ah«, seufzte Abban, »ich hatte nur überlegt, ob man behaupten könnte, die Damajah sei lediglich deine krasianische Jiwah Ka ? In diesem Fall wäre es weise, auch eine Jiwah Ka des Nordens zu ernennen, um Ehen mit chin in den Grünen Ländern zu arrangieren.«
Wieder seufzte Abban. »Aber nicht einmal Kaji hatte zwei Jiwah Ka .«
Jardir rieb seine Finger aneinander, und während er nachdachte, fühlte er die glatten Narben der Siegel, die in seine Haut geritzt waren.
»Kaji lebte vor dreitausend Jahren«, erklärte er schließlich, »und die Heiligen Texte sind unvollständig. Wer will mit Bestimmtheit behaupten, wie viele Jiwah Ka er hatte?«
Als der gerissene Abban nicht sofort antwortete, schmunzelte Jardir. »Morgen begibst du dich zum Haus von Leeshas Vater, um deine Schulden zu begleichen«, befahl er. »Und um zu erfahren, welchen Brautpreis er für seine Tochter verlangt.«
Abban verbeugte sich und ging.
Abban lächelte den Nordländern zu, als er auf seiner Krücke mit dem Kamelbügel durch das Dorf humpelte. Sie starrten ihn an, viele mit unverhohlenem Misstrauen, doch während seine Krücke in Krasia die Männer dazu eingeladen hatte, Gewalt gegen ihn zu üben, schien sie bei den chin das genaue Gegenteil zu bewirken. Hier hätte man sich geschämt, einen Mann anzugreifen, der sich nicht richtig verteidigen konnte, genauso wie es als schändlich galt, eine Frau zu schlagen. Das erklärte, warum die Frauen hier sich solche Freiheiten herausnahmen.
Im Lauf der Zeit stellte Abban fest, dass ihm die Grünen Länder immer besser gefielen. Das Wetter war weder unerträglich heiß noch
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