Das Flüstern der Nacht
langsamer zu werden.
Der Tätowierte Mann fand Jephs Hof noch fast genauso vor, wie er ihn verlassen hatte, nur dass die Rückseite des Hauses um einen Anbau erweitert war. Auf dem Gerstenfeld standen noch einige Siegelpfosten, die er selbst geschnitzt hatte; im Laufe der Jahre waren sie immer wieder frisch lackiert worden. Jeph hielt seine Siegel sorgfältig in Schuss, und auch seinem Sohn hatte er eingeschärft, in diesem Punkt niemals zu schludern; diese Gewissenhaftigkeit
hatte Arlen mehr als einmal das Leben gerettet und seinen Lebensweg in hohem Maße mitbestimmt.
Vom Haus angezogen, tobte eine ganze Horde von Dämonen über den Hof und attackierte die Siegel. Der Tätowierte Mann erschoss zwei, um den Weg zur Scheune freizumachen. Als sie sich hinter den Siegeln in Sicherheit befanden, brachte er Schattentänzer in einem Stall unter, postierte sich in der Tür und erlegte mit seinem Bogen einen Horcling nach dem anderen. Bald war der Hof von den Kreaturen gesäubert, und er begleitete Renna ins Wohnhaus.
Der Tätowierte Mann zitterte, als er Renna in der Gemeinschaftsstube auf einen Stuhl setzte, dann die Laternen anzündete und im Kamin ein Feuer in Gang brachte. Alles hier war ihm so vertraut, dass ihm das Herz blutete. Sogar der Geruch war derselbe. Halb erwartete er, seine Mutter aus der Kühlkammer treten zu sehen und zu hören, wie sie ihm sagte, er solle sich vor dem Abendessen die Hände waschen. Eine betagte Katze kam zu ihm geschlichen, beschnüffelte ihn, fing an zu schnurren und rieb sich an seinem Bein. Gerührt nahm er sie auf den Arm und kraulte ihr die Ohren; er konnte sich erinnern, wie ihre Mutter den Wurf hinter dem zerbrochenen Karren in der Scheune zur Welt gebracht hatte.
Schließlich ging er zu Renna, die immer noch auf dem Stuhl saß und an ihren Röcken zupfte. »Geht es dir gut?«
Renna schüttelte den Kopf, den Blick fest auf den Boden geheftet. »Ich glaube, mir wird es nie wieder gutgehen.«
»Ich kenne dieses Gefühl«, erwiderte der Tätowierte Mann. »Bist du hungrig?«
Als sie nickte, setzte er die Katze auf dem Boden ab und ging in die Kühlkammer; es überraschte ihn nicht, dort alles noch exakt so vorzufinden, wie er es in Erinnerung hatte. Er fand geräucherten Schinken und frisches Gemüse, und der Brotkasten war gut bestückt. Was er zum Kochen brauchte, legte er auf das Hackbrett,
und aus der Wassertonne füllte er einen Kessel. Schon bald köchelte ein Eintopf über dem Feuer und erfüllte das Haus mit seinem Aroma. Der Tätowierte Mann öffnete den Geschirrschrank und verteilte Schalen und Löffel auf dem Tisch. Als er Renna holen wollte, lag die Katze zusammengerollt auf ihrem Schoß. Geistesabwesend streichelte sie das Tier, während sie weinte, und ihre Tränen tropften in das Fell.
Beim Essen sagte Renna kaum ein Wort, und er merkte, wie sie ihn die ganze Zeit über anstarrte; er wünschte sich, ihm fielen die richtigen Worte ein, um wieder Leben in ihre Augen zu bringen.
»Schmeckt dir der Eintopf?«, fragte er, als sie sich Brot abbrach und mit den Brocken die Reste in ihrer Schüssel auftunkte. »Es ist noch mehr da, wenn du möchtest.« Sie nickte; er holte den Topf vom Herdfeuer und füllte ihre Schale ein zweites Mal.
»Danke«, murmelte sie. »Ich fühle mich, als hätte ich seit Tagen nichts gegessen. Hab ich im Grunde ja auch nicht. Hatte keinen Appetit.«
»Ich denke, du hast eine anstrengende Woche hinter dir«, meinte er.
Endlich sah sie ihm in die Augen. »Du hast diese Dämonen getötet. Mit deinen bloßen Händen hast du sie umgebracht.«
Der Tätowierte Mann nickte.
»Warum?«
Er zog eine Augenbraue hoch und sah sie fragend an. »Braucht man einen Grund, um Dämonen zu töten?«
»Aber die Leute haben dir doch erzählt, was ich getan habe«, fuhr sie fort. »Und sie haben Recht. Nichts von alledem wäre passiert, wenn ich nur auf meinen Dad gehört hätte. Vielleicht habe ich es verdient, von den Horclingen geholt zu werden.« Sie wandte sich von ihm ab, doch der Tätowierte Mann packte sie grob bei den Schultern und zwang sie, sich umzudrehen und ihn anzuschauen. Seine Augen blitzten zornig, ihre waren vor Schreck geweitet.
»Hör mir gut zu, Renna Gerber«, befahl er. »Dein Dad hat es nicht verdient, dass seine Töchter ihm gehorchen. Ich weiß, was er dir und deinen Schwestern da draußen auf eurem Hof angetan hat. Auf so einen Mann darf man überhaupt keine Rücksicht nehmen. Er hat diese Katastrophe heraufbeschworen, und
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