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Das Flüstern der Nacht

Das Flüstern der Nacht

Titel: Das Flüstern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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Hause!«
    »Ich wollte nicht, dass es jemand erfährt«, entgegnete der Tätowierte Mann und merkte plötzlich, dass sein heimischer Akzent, den er während seiner Zeit in Miln abgelegt hatte, wieder wie selbstverständlich über seine Zunge rollte. Es war ein alter Kuriertrick, die Sprache der Gegend anzupassen, durch die man gerade reiste, damit die Leute in den verschiedenen Dörfern ihre Befangenheit verloren, und um für eine entspannte Atmosphäre zu sorgen. Hundertmal hatte er diesen Trick angewandt, doch dieses Mal war es anders; ihm kam es fast so vor, als hätte er seit seinem Fortgehen aus Tibbets Bach mit einem fremden Zungenschlag gesprochen und würde nun endlich wieder mit seiner natürlichen Stimme reden.
    Renna trat ihn heftig vors Schienbein. Vor Schmerzen schrie er auf.
    »Das ist dafür, dass du geglaubt hast, ich wüsste nicht Bescheid, und weil du nichts gesagt hast!«, schrie sie und schubste ihn mit solcher Wucht, dass er in den Heuhaufen am hinteren Ende des Stalles fiel. »Vierzehn Sommer habe ich auf dich gewartet! Habe immer gehofft, du kommst mich holen! Wir waren einander versprochen. Aber du bist gar nicht meinetwegen zurückgekommen, oder? Nicht einmal jetzt! Du wolltest bloß einen kurzen Abstecher
machen und wieder verschwinden, in der Hoffnung, dass dich keiner erkennt!« Wieder trat sie nach ihm; hastig rappelte er sich auf und lief um Schattentänzer herum, so dass das wuchtige Pferd zwischen ihnen stand.
    Sie hatte natürlich Recht. Als er Miln besuchte, hatte er ebenfalls gedacht, er könnte einen Blick auf sein früheres Leben werfen, ohne es zu berühren, wie wenn man einen Verband abnimmt, um nachzusehen, ob die Verletzung darunter verheilt ist. Doch in Wahrheit hatte er die alten Wunden schwären lassen, und es war an der Zeit, sie einmal gründlich auszuwaschen.
    »Ein fünfminütiges Gespräch zwischen unseren Dads macht uns nicht zu Verlobten, Renna«, protestierte er.
    »Ich hatte meinen Dad gebeten , mit Jeph zu reden«, klärte sie ihn auf. »Damals sagte ich dir, wir wären einander versprochen, und an dem Tag, als du fortgingst, wiederholte ich die Worte bei Sonnenuntergang auf der Veranda. Das macht uns zu Verlobten.«
    Aber der Tätowierte Mann schüttelte den Kopf. »Wenn man bei Sonnenuntergang irgendwas sagt, ist das keine feste Abmachung. Ich war dir nie versprochen, Renna. In dieser Nacht wurde einfach über meinen Kopf hinweg entschieden, ohne dass jemand daran dachte, mich zu fragen.«
    Renna sah ihn an, und in ihren Augen standen Tränen. »Vielleicht hat man dich übergangen«, räumte sie ein, »aber ich wusste genau, was ich wollte. Es war die einzige Entscheidung in meinem Leben, die ich wirklich ganz allein getroffen habe, und ich mache sie nicht rückgängig. Als wir uns küssten, wusste ich, dass wir füreinander bestimmt sind.«
    »Aber du hättest Cobie Fischer geheiratet«, warf er ihr vor, bemüht, seine Bitterkeit nicht durchklingen zu lassen. »Der mich früher zusammen mit seinen Freunden immer verprügelt hat.«
    »Du hast es ihnen heimgezahlt«, entgegnete sie. »Zu mir war Cobie immer nett …« Sie schniefte und berührte die Halskette, die
sie trug. »Ich wusste ja nicht mal, ob du überhaupt noch am Leben bist, und ich musste von zu Hause weg …«
    Er legte seine Hand auf ihre Schulter. »Ich weiß, Ren. Ich hab’s nicht böse gemeint. Und mache dir ja keine Vorwürfe. Im Grunde wollte ich nur sagen, dass es so etwas wie Vorherbestimmung nicht gibt. Wir alle gehen durchs Leben und handeln so, wie wir es für das Beste halten.«
    Sie sah ihn an. »Wenn du fortgehst, will ich mit dir kommen. Das halte ich für das Beste.«
    »Bist du dir darüber im Klaren, was das bedeutet, Ren? Ich verstecke mich nicht hinter einem Zirkel, wenn die Sonne untergeht. Das ist ein Leben voller Gefahren.«
    »Glaubst du, hier in Tibbets Bach sei ich sicherer?«, fragte Renna. »Selbst wenn sie mich nicht wieder an den Pfahl binden, sobald du weggeritten bist, wem kann ich noch vertrauen? Wo soll ich denn hin? Gibt es hier überhaupt jemanden, der nicht bereit war, zuzusehen, wie die Horclinge mich töten?«
    Eine geraume Weile sah er sie an und überlegte sich, mit welchen Worten er ihre Bitte abschlagen sollte. Die Fischer-Sippe war nicht anders als alle Rüpel - die Burschen hatten ein großes Mundwerk und es steckte nichts dahinter, außerdem fühlten sie sich nur in der Gruppe stark. An diesem Abend würde er ihnen den Schneid abkaufen, wenn er sie

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