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Das Flüstern der Nacht

Das Flüstern der Nacht

Titel: Das Flüstern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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Jephs Hof bestellen. Er fragte sich, was aus ihr geworden war.
    Je weiter er kam, desto befremdlicher kam ihm alles vor. Er hätte sich mit seiner Ankunft gar nicht so vorsehen müssen, denn in Tibbets Bach begegnete ihm keine Menschenseele; jedes Haus war fest verrammelt. Er durchforstete seine Erinnerung, ob vielleicht irgendwo ein großes Fest stattfand, aber für die übliche Feier zur Sommersonnenwende war es zu früh. Die Leute mussten von dem Großen Horn gerufen worden sein.
    Das Große Horn befand sich in Stadtplatz, und es ertönte, wenn es irgendwo einen Dämonenangriff gegeben hatte; es gab die Richtung an, damit die, die dem Ort am nächsten waren, sofort dorthin eilen konnten, um nach Überlebenden zu suchen und, wenn möglich, beim Wiederaufbau zu helfen. In einem solchen Notfall ließen die Leute alles stehen und liegen, sperrten ihr Vieh ein und begaben sich schleunigst an den Schauplatz der Attacke; und wenn die Situation es erforderte, blieben sie sogar über Nacht.
    Der Tätowierte Mann wusste, dass er seine Leute zu streng beurteilt hatte, als er von daheim weglief. Sie waren auch nicht
anders als die Menschen im Tal der Holzfäller oder in den Dutzenden von Dörfern, die er gesehen hatte. Die Einheimischen kämpften vielleicht nicht gegen die Horclinge wie Krasianer, aber sie leisteten auf ihre Weise Widerstand, kamen immer wieder zusammen, um ihre Verbundenheit zu stärken. Wenn sie miteinander stritten, dann wegen Nichtigkeiten. Niemand in Tibbets Bach würde zulassen, dass ein Nachbar hungerte oder in der Nacht ohne Zuflucht blieb, wie es in den großen Städten häufig vorkam.
    Der Tätowierte Mann sog schnuppernd die Luft ein und suchte mit Blicken den Himmel ab, aber er fand keine Anzeichen von Rauch, der sicherste Hinweis auf einen Angriff. Er strengte die Ohren an, doch kein Laut gab ihm Aufschluss, und nachdem er eine Weile suchend durch die Gegend geritten war, setzte er seinen Weg nach Stadtplatz fort. Dort würde er Leute finden, die ihn über den Angriff aufklären konnten.
    Es war schon fast dunkel, als er sich Stadtplatz näherte, und das Summen Hunderter von Stimmen drang an seine Ohren. Er entspannte sich, als ihm bewusstwurde, dass seine Befürchtungen unbegründet waren, und er war gespannt, welches Ereignis jeden Einwohner von Tibbets Bach dazu bewogen hatte, eine Nacht in Stadtplatz zu verbringen. Hatte eine von Ruscos Töchtern endlich geheiratet?
    Die Straßen waren frei, aber es schien tatsächlich, als hätte sich die gesamte Gemeinde hier versammelt. Jede Veranda, jeder Türeingang und jedes Fenster, die auf den Platz gingen, waren vollgepackt mit Menschen. Manche, wie die Südwächter, hatten sogar ihre eigenen Bannkreise gezogen, standen abseits der Menge und umklammerten ihre Kanons, tief im Gebet versunken. Sie bildeten einen scharfen Kontrast zu den Leuten aus Torfhügel, die sich nur aneinander festhielten und weinten. Unter ihnen entdeckte er Rennas Schwester Beni, die an Lucik Torfstechers Arm hing.

    Er folgte ihren Blicken, die sich auf die Mitte des Platzes richteten, wo eine hübsche junge Frau an einen Pfahl gefesselt war.
    Und bald würde die Sonne untergehen.

    Es dauerte nur einen Moment, bis der Tätowierte Mann Renna Gerber erkannte. Vielleicht, weil sie in seinem Kopf herumgespukt hatte, oder weil ihm gerade ihre Schwester im Gedränge aufgefallen war; aber selbst nach so vielen Jahren war Rennas rundes Gesicht unverkennbar, wie auch ihr langes braunes Haar, das ihr fast bis zur Taille reichte.
    Sie hing schlaff am Pfahl, durch die Stricke aufrecht gehalten, die um ihre Arme und Brust gewickelt waren. Ihre Augen waren weit aufgerissen, doch sie starrte blicklos ins Leere.
    »Was zum Horc geht hier vor?«, brüllte er und trieb seinem Pferd die Fersen in die Flanken. Der kolossale Hengst sprang auf den Platz und grub tiefe Kerben in das Gras, als er vor der erschrockenen Menge tänzelte. Der Platz wurde von dem trüben, unruhig flackernden Schein erhellt, den Fackeln und Laternen verbreiteten, doch der Himmel war in ein tiefes Purpur getaucht. In wenigen Sekunden mussten die ersten Horclinge aufsteigen.
    Er sprang aus dem Sattel und stürzte zum Pfahl, um Renna loszubinden. Ein alter Mann kam zu ihm gestapft, in der Hand ein großes Jagdmesser mit fleckiger Klinge. Die feine Nase des Tätowierten Mannes roch das getrocknete Blut, und er erkannte Raddock Advokat, den Sprecher des Dorfes Fischweiher.
    »Das hier geht dich nichts an, Kurier!«, schrie

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