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Das Flüstern der Nacht

Das Flüstern der Nacht

Titel: Das Flüstern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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hinaus. Von allen Seiten ertönten erstickte Schreie, aber Selia kümmerte sich nicht darum, sondern zog einen Speer aus dem Boden. Es folgten Fürsorger Harral und Brine der Breite. Der Holzfäller griff mit einem hungrigen Ausdruck nach seinem Speer. Die Bewohner von Stadtplatz und die Holzfäller brachen in Jubelrufe aus.
    »Hat noch jemand eine Frage?« Der Tätowierte Mann schaute in die Runde. Als Junge hatte er in Tibbets Bach nichts zu sagen gehabt, doch nun wollte er endlich seine Meinung vertreten. In die Menge war plötzlich Leben gekommen, doch es fiel ihm leicht, die einzelnen Sprecher zu entdecken, wie Inseln in einem Bachlauf.
    »Schätze, ich hab eine«, meldete sich Jeorje Südwächter.
    Der Tätowierte Mann musterte ihn prüfend. »Stell deine Frage, und ich verspreche dir eine ehrliche Antwort.«
    »Woher sollen wir wissen, ob du wirklich der Erlöser bist?«, fragte Jeorje.

    »Ich sagte bereits, Fürsorger, dass ich nicht der Erlöser bin. Ich bin nur ein Kurier.«
    »In wessen Auftrag bist du unterwegs?«
    Der Tätowierte Mann zögerte, als er die Falle erkannte. Wenn er antwortete, er habe keinen Auftraggeber, würden viele annehmen, er sei der Abgesandte des Schöpfers. Er zog sich am besten aus der Affäre, indem er Euchor als seinen Herrn angab. Tibbets Bach gehörte zu Miln, und die Leute konnten den Schluss ziehen, die Kampfsiegel seien ein Geschenk des Herzogs. Aber er hatte versprochen, die Wahrheit zu sagen.
    »In diesem Fall gibt es keinen Auftraggeber«, gab er zu. »Ich fand die Siegel in einer Ruine der alten Welt und nahm es auf mich, sie an alle anständigen Menschen zu verteilen, damit wir anfangen können, uns gegen die Nacht zu wehren.«
    »Der Fluch kann ohne die Ankunft des Erlösers nicht beendet werden«, hielt Jeorje dagegen, als hätte er in den Ausführungen des Tätowierten Mannes einen Denkfehler entdeckt.
    Aber der Tätowierte Mann zuckte bloß mit den Schultern und reichte Jeorje einen Speer mit Siegeln. »Könnte ja sein, dass du der Erlöser bist. Töte einen Dämon und finde es heraus.«
    Jeorje ließ seinen Gehstock fallen und nahm die Waffe an; in seinen Augen lag ein hartes Funkeln.
    »Ich habe den Fluch mehr als hundert Jahre lang erlebt«, erklärte er. »Habe mit angesehen, wie alle, die ich kannte, vom Horc geholt wurden, sogar meine Kindeskinder. Dauernd fragte ich mich, warum der Schöpfer mich so lange am Leben ließ, während er so viele andere zu sich rief. Schätze, er hat mich für eine ganz besondere Aufgabe aufgespart.«
    »In Fort Krasia heißt es, ein Mann kommt nicht in den Himmel, wenn er nicht mindestens einen Horcling mitnimmt«, erwiderte der Tätowierte Mann.
    Jeorje nickte. »Weise Menschen.« Er steuerte auf Selia zu, und als er an den Südwächtern vorbeikam, zeichneten alle Siegel in die Luft.

    Als Nächster stapfte Rusco Vielfraß auf den Platz, krempelte seine Ärmel hoch und entblößte seine dicken, fleischigen Arme. Ohne viel Federlesens schnappte er sich einen Speer.
    »Dad, was tust du da?«, kreischte seine Tochter Catrin, rannte herbei und umklammerte seinen Arm.
    »Benutze deinen Verstand, Mädchen!«, schnauzte Rusco. »Jeder, der Waffen mit Kampfsiegeln verkauft, wird ein Vermögen verdienen!« Er riss sich von ihr los und stellte sich zu den anderen Sprechern.
    Dann kam Bewegung in die Gruppe aus Sumpfland, wo Coran Sumpfig auf einem hochlehnigen Stuhl saß. »Mein Dad kann ohne seinen Stock nicht mal stehen«, rief Keven Sumpfig. »Lass mich an seiner Stelle kämpfen.«
    Der Tätowierte Mann schüttelte den Kopf. »Ein Mann, der glaubt, er könne in einem Rat sitzen und Schöpfer spielen, kann sich genauso gut auf einen Speer stützen wie auf einen Stock.« Die Sumpfigs reckten die Fäuste und brüllten ihn wütend an, aber der Tätowierte Mann nahm keine Notiz von ihnen, sondern fixierte Coran mit einem herausfordernden Blick. Der greise Sprecher von Sumpfland zog eine finstere Miene, aber er stemmte sich von seinem Stuhl hoch, hinkte langsam herbei und nahm sich einen Speer. Seinen Gehstock legte er neben Jeorjes Stock auf den Boden.
    Der Tätowierte Mann wandte sich nun Meada Torfstecher zu; die ließ ihren Sohn los, an den sie sich geklammert hatte, und entfernte sich von der Gruppe aus Torfhügel. Im Vorbeigehen warf sie Coline einen Blick zu, doch die Kräutersammlerin schüttelte den Kopf. »Ich muss mich um Kranke kümmern«, erklärte sie. »Und diejenigen von euch, die das unwahrscheinliche Glück haben, diesen

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