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Das Flüstern der Nacht

Das Flüstern der Nacht

Titel: Das Flüstern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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nicht jetzt schon kleingekriegt hatte. In Tibbets Bach wäre Renna in Sicherheit. Sie hatte es verdient, ohne Angst zu leben.
    Aber war schlichte Sicherheit genug? Er hatte sich nicht damit zufriedengegeben, ein Leben in Geborgenheit zu führen, wie konnte er da annehmen, dass es ihr genügen würde? Er hatte immer voller Hohn und Verachtung auf die Menschen herabgesehen, die sich ihr Leben lang vor der Nacht fürchteten.
    Rennas Gegenwart schmerzte ihn wie Salz in einer offenen Wunde, sie erinnerte ihn an alles, was er aufgegeben hatte, als er damit begann, seine Haut zu tätowieren. Er fühlte sich schon unbehaglich,
wenn er mit Leuten zusammen war, die ihn nicht von früher kannten; und bei Renna kam er sich vor, als sei er wieder elf Jahre alt.
    Aber sie brauchte ihn, und das schützte ihn vor dem Ruf des Horc. Heute hatte er sich zum ersten Mal seit seiner Abreise von Miln auf eine Morgendämmerung gefreut. Tief in seinem Herzen wusste der Tätowierte Mann, dass er es nicht überleben würde, wenn er versuchte, die Welt der Dämonen zu betreten; doch als er gesehen hatte, wie seine eigenen Leute Renna der Nacht überließen, wollte er der Menschheit am liebsten für immer den Rücken kehren. Und wenn er allein aus Tibbets Bach wegging, war es sehr gut möglich, dass er diesen Wunsch in die Tat umsetzte.
    »Na schön«, gab er schließlich nach. »Du darfst mich begleiten, solange du mit mir Schritt halten kannst. Wenn du mich aufhältst, lasse ich dich in der ersten Stadt zurück, durch die wir kommen.«
    Renna sah sich in der Scheune um und entdeckte einen Sonnenstrahl, der durch die Heubodenluke hereinströmte. Andächtig stellte sie sich in den Lichtkreis und blickte ihm in die Augen. »Ich werde dich nicht aufhalten«, gelobte sie, wobei sie Harls Messer zog. »Die Sonne sei mein Zeuge!«
    »Du umklammerst das Messer, als könnte es dir gegen einen Horcling etwas nützen«, meinte der Tätowierte Mann. »Ich werde es mit Siegeln versehen.« Renna blinzelte verdutzt, betrachtete das Messer und hielt es ihm entgegen. Er griff danach, doch plötzlich zog sie es zurück und drückte es an sich.
    »Das Messer ist eines der wenigen Dinge auf der Welt, die mir gehören«, erklärte sie. »Ich möchte es gern selbst mit Siegeln versehen, wenn du mir beibringst, was ich machen muss.«
    Der Tätowierte Mann musterte sie skeptisch und dachte daran, was für eine schlechte Bannzeichnerin sie als Kind war. Renna bemerkte den Blick und runzelte unwillig die Stirn.
    »Ich bin nicht mehr neun, Arlen Strohballen«, fauchte sie. »Mittlerweile schütze ich seit fast zehn Jahren meinen Besitz mit
Siegeln, an denen noch kein einziger Dämon vorbeigekommen ist. Hör also auf, mich so von oben herab anzusehen. Schätze, ich kann einen verdammten Zirkel oder ein Hitzesiegel genauso gut zeichnen wie du.«
    Erschrocken über ihren Wutanfall wich der Tätowierte Mann zurück. »Entschuldige bitte. Die Bannzeichner in den Freien Städten haben mich genauso misstrauisch angeguckt, als ich frisch aus Tibbets Bach dort ankam. Ich hatte vergessen, wie kränkend das sein kann.«
    Renna ging zu der Stelle, an der seine Ausrüstung lag, und zog ein Messer mit Siegeln aus einem am Sattel befestigten Futteral. »Hier«, sagte sie und brachte ihm das Messer. »Wozu ist dieses Symbol gut?« Sie zeigte auf das einzelne Siegel an der Spitze. »Und warum wiederholt sich an der Schneide nur dieses andere Symbol, wobei es immerzu gedreht wird? Wie kann es ohne Verbindungslinien ein Netz formen?« Sie begutachtete das Messer von allen Seiten und strich mit den Fingern über die vielen Siegel, die die Klingenflächen bedeckten.
    Der Tätowierte Mann deutete auf die Spitze. »Das ist ein Stichsiegel, mit dem man den Panzer eines Horclings durchbohren kann. Hier an den Seiten befinden sich Schneidesiegel, die die Klinge tiefer in das Fleisch gleiten lassen, nachdem der Panzer geknackt ist. Schneidesiegel vernetzen sich selbst, wenn man sie richtig dreht.«
    Renna nickte; ihre Augen huschten die Linien entlang. »Und diese hier?« Sie zeigte auf die Symbole dicht am Rand der Schnittkante.

    Nach der Abendmahlzeit spannte Jeph den Wagen an und die ganze Familie stieg hinein, um nach Stadtplatz zu fahren. Renna ritt zusammen mit dem Tätowierten Mann; sie saß hinter ihm auf Schattentänzer.

    Wenige Minuten vor Sonnenuntergang trafen sie ein. War der Platz schon am Tag zuvor stark bevölkert gewesen, so war er jetzt fast bis zum Bersten voll. Jeder Weiler

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