Das Flüstern der Nacht
treiben sich viel mehr Horclinge herum; hier gibt es mehr Städte und Ruinen, die sie anziehen. In den Baumwipfeln wimmelt es von Dämonen. Sie hangeln sich von einem Ast zum anderen und lassen sich auf einen drauffallen.«
Renna schaute abrupt hoch, als erwarte sie, dass sich just in diesem Augenblick ein Horcling auf sie stürzen könnte, doch natürlich waren sie noch nicht an die Oberfläche gekommen. Die Sonne fing gerade erst an, unter dem Horizont zu verschwinden.
Als die Schatten länger wurden, beobachtete Renna, wie der Nebel sich gemächlich durch das Bett aus Nadeln und Kiefernzapfen, das den Boden zwischen den Bäumen bedeckte, nach oben kräuselte. Die Schwaden rankten sich um die Baumstämme wie Rauch, der einen Kamin emporsteigt.
»Was machen sie?«, fragte sie Arlen.
»Manche lieben es, sich in den Baumkronen zu verfestigen, wo man sie nicht sehen kann. Umso besser können sie einen dann überrumpeln«, erklärte Arlen. »Meistens warten sie ab, bis man ein Stück an ihnen vorbei ist, dann springen sie einem auf den Rücken.«
Renna erinnerte sich an den Felsendämon, den sie mit einer ähnlichen Taktik getötet hatte, und raffte nervös ihren Tarnumhang enger um sich.
»Da vorn ist schon einer«, flüsterte Arlen. »Gib gut acht.« Er überließ es ihr, Schattentänzer am Zügel zu führen, und marschierte ein paar Schritte vor ihnen her.
»Willst du nicht lieber deine Kutte ausziehen?«, fragte Renna, doch Arlen schüttelte den Kopf.
»Ich zeige dir jetzt einen Trick. Wenn man es richtig anstellt, braucht man nicht mal Siegel auf der Haut.«
Renna nickte und behielt ihn gespannt im Auge. Sie gingen noch ein Stück weiter, bis es, wie angekündigt, über ihren Köpfen raschelte und ein Dämon mit einer Haut wie Borke aus den Bäumen in Arlens Richtung fiel.
Doch der war bereit. Er wirbelte herum, schob seinen Kopf unter eine Achselhöhle des fallenden Dämons, legte ihm von hinten den freien Arm um den Hals und packte ihn bei der Schnauze. Dann drehte er sich einmal um die eigene Achse und der Schwung des Falls genügte, um dem Horcling das Genick zu brechen.
»Grundgütiger Tag!«, japste Renna.
»Es gibt mehrere Methoden«, erläuterte Arlen und stieß dem am Boden liegenden Dämon einen vor Magie knisternden Finger durch das Auge, um ihm den Rest zu geben. »Aber das Prinzip ist immer dasselbe. Sharusahk beruht darauf, die Kraft des Gegners beim Angriff umzuleiten und gegen ihn zu richten. Nicht anders ist es bei den Siegeln. Nur so konnten die Krasianer während der letzten Jahrhunderte überleben, obwohl sie jede Nacht den alagai’sharak kämpfen.«
»Warum hasst du die Krasianer, wenn sie doch so gut darin sind, Dämonen zu töten?«, wollte Renna wissen.
»Ich hasse die Krasianer nicht«, widersprach Arlen, zögerte dann aber. »Jedenfalls nicht alle. Aber ihre Lebensweise, jeden zu versklaven, der kein Mann und kein Krieger ist … das ist einfach
falsch. Vor allen Dingen, wenn sie mit Gewalt die Thesaner dazu zwingen, sich ihren Bräuchen anzupassen.«
»Was sind Thesaner?«, fragte Renna.
Arlen sah sie überrascht an. »Wir alle sind Thesaner. Alle, die in den Freien Städten wohnen. Und ich will, dass sie frei bleiben.«
Der eine war weit gereist, während der Horcling-Prinz den Tag im Horc ausharrte. Aber der Mimikry war schnell, und es dauerte nicht lange, bis der Seelendämon seine Beute wieder zu Gesicht bekam; der eine führte sein Pferd am Zügel durch einen lichten Wald. Auf seinem Mimikry in der Luft kreisend, beobachtete der Seelendämon, wie Baumdämonen den Menschen angriffen. Er tötete sie zügig und geschickt, ohne sein Marschtempo merklich zu verringern.
Der Schädel des Seelendämons pochte und der Mimikry legte sich schräg in eine Kurve und tauchte in die Bäume ab; die Schwingen schmolzen dahin, als er die Gestalt eines kolossalen Baumdämons annahm. Bevor sie zu tief fielen, klammerte er sich an einen dicken Zweig und lenkte den Sturz geschmeidig in eine Vorwärtsbewegung um. Mühelos turnte er von Ast zu Ast, wobei er immer noch seinen Gebieter trug.
An einem hoch gelegenen Aussichtspunkt hielten sie an und sahen zu, wie der eine näher kam. Von dem Weibchen war nichts zu sehen, obwohl der Seelendämon sich nicht erinnern konnte, dass die Spur dieses Wesens irgendwo geendet hätte. Schnüffelnd sog er die Luft ein und konnte das Weibchen so schmecken. Sie hatte sich hier aufgehalten, sogar noch vor kurzer Zeit, aber er konnte sie nicht mehr
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