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Das Flüstern der Schatten

Das Flüstern der Schatten

Titel: Das Flüstern der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Philipp Sendker
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verriet, was er wusste.
    »Herr Tang: Wer hat meinen Sohn ermordet?«
    Die Stille. Sie hörte das Eis in ihrem Whiskey schmelzen. Statt einer Antwort breitete sich unheilvolles Schweigen im Raum aus. Sie wartete. Weshalb antwortete Tang nicht? War er zu feige? Warum sagte keiner der beiden anderen Männer etwas? Diese betretene Stille. Die Blicke, die sie miteinander tauschten. Als wäre Elizabeth nichts weiter als eine Nervensäge, eine bemitleidenswerte Hysterikerin, die keine Ruhe geben konnte. Das war sie nicht. Sie war eine Mutter, die wissen wollte, wer ihren Sohn getötet hat.
    »Richard!« Das war laut, laut genug, um ihn wieder zum Schweigen zu bringen. Du Feigling! Von wegen nicht der richtige Ort, nicht der richtige Zeitpunkt. Einen besseren Ort, einen besseren Zeitpunkt gab es nicht. Sie wollte eine Antwort, und zwar auf der Stelle.
    »Herr Tang, ich habe Sie etwas gefragt!«
    Er konnte sie jetzt anschauen, so kühl und so lange er wollte, mit dem doppelten Whiskey im Körper und einem gut gefüllten Glas in der Hand hielt sie diesem Blick stand.
    »Wer hat Michael erschlagen?«
    »Nach allem, was ich weiß, war es der Arbeiter, der in Untersuchungshaft sitzt. Er hat ein Geständnis unterschrieben.«
    »Der Mann hat ein Alibi.«
    War nun doch ein Zucken über sein Gesicht geflogen, waren die Lippen nicht noch schmaler als sonst, oder bildete sie es sich ein?
    »Da wissen Sie mehr als ich, Frau Owen.«
    Das Abfällige in seinem Ton. Er musste aufpassen. Noch so eine spöttische Bemerkung, und ihr Whiskey würde ihm von der Nase tropfen.
    »Fragen Sie Herrn Leibovitz, wenn Sie mir nicht glauben.
    Er hat mit seinem Freund von der Mordkommission die Frau des angeblichen Täters gefunden. Der Mann kann es gar nicht gewesen sein. Er war an dem Abend, an dem Michael ermordet wurde, bei seiner Frau. Er war krank und lag im Bett. Dafür gibt es Augenzeugen.«
    Treffer. Sie hätte blind sein müssen, um nicht zu merken, wie es jetzt in Tang arbeitete. Er mahlte mit den Zähnen, sie sah es an den Bewegungen seines Unterkiefers. Warum erwiderte er nichts? Warum sagten die anderen noch immer kein Wort? Schauten sie an, als hätte sie den Verstand verloren. Warum fragte er Paul nicht, ob sie die Wahrheit sagte?
    »Stimmt’s, Herr Leibovitz? Habe ich Recht?«
    Das konnte nicht wahr sein. Selbst Paul schwieg. Was war los mit ihm? Natürlich hatte sie fest versprochen, die Geschichte Tang gegenüber nicht zu erwähnen, aber diese Zusage hatte er doch nicht etwa ernst genommen? Warum waren sie denn der Einladung Tangs gefolgt? Mit Sicherheit nicht, um Belanglosigkeiten auszutauschen oder etwas über Vasen aus der Ming-Dynastie zu erfahren. Sie sollte nicht voreilig sein und Geduld haben, hatte Paul sie gewarnt. Aber sie konnte sich nicht gedulden, und es interessierte sie auch nicht, wen sie in Gefahr brachte. Ihr Michael war tot, und Pauls Bericht gestern hatte ihre Zweifel an der offiziellen Version erst genährt. Ohne ihn wäre sie gar nicht auf die Idee gekommen, Tangs Schilderungen in Frage zu stellen. Wie konnte er sie jetzt im Stich lassen?
    »Herr Leibovitz! Um Gottes willen, sagen Sie etwas. Ich wiederhole nur, was Sie mir gestern berichtet haben. Wang Ming! Lotus Metal! Das Alibi! Das habe ich mir doch nicht ausgedacht. Das weiß ich alles von Ihnen! Warum schweigen Sie?«
    Es half nichts, Paul Leibovitz, ihr Verbündeter, blieb stumm. Sie hatte das Gefühl, der Boden unter ihren Füßen beginne sich zu öffnen und drohe sie zu verschlingen. »Sie mieser, kleiner Feigling. Haben Sie mich etwa belogen?«
    Wenigstens traute er sich nicht, ihr in die Augen zu sehen. Er war genauso ein Drecksack wie Richard und Tang. Sie wollte weg, nur weg, so schnell und so weit wie möglich.
    »Liebe Frau Owen.«
    Dieser Ton. So spricht man mit einer Kranken, aber nicht mit ihr. Tangs geheucheltes Verständnis war noch weniger zu ertragen als sein Spott. »Sie wissen, wie furchtbar leid es mir tut, was geschehen ist. Ich verstehe, dass Sie aufgebracht sind und dass Sie den wirklichen Mörder Ihres Sohnes bestraft sehen möchten. Das wollen wir ja alle. Ob der Verdächtige ein Alibi hat oder nicht, ob er fälschlicherweise ein Geständnis unterschrieben hat oder nicht, das wird am Freitag das Gericht feststellen. Dafür gibt es Richter, Staatsanwälte und Strafverteidiger. Das ist bei uns in China nicht anders als bei Ihnen in Amerika. Das wird Ihnen Herr Leibovitz sicher gern bestätigen, oder nicht?«
    Er nickte. Paul nickte. Am

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