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Das Flüstern der Schatten

Das Flüstern der Schatten

Titel: Das Flüstern der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Philipp Sendker
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Lotus Metal und Wang Ming und Michaels geheimen Gesprächen erzählt. Elizabeth würde es wahrscheinlich Verrat nennen, aber nur, weil sie keine Ahnung hatte. Es war Fürsorge gewesen. Er hatte Michael vor einem schwerwiegenden und folgenreichen Fehler bewahren wollen.
    Herr Tang, sagt Ihnen der Name Lotus Metal etwas?
    Warum musste sie Victor so provozieren? Es gab einen Verdächtigen, mehr als Verdächtigen, wenn man es genau nahm. Was immer der Leibovitz über erzwungene Geständnisse in chinesischen Gefängnissen behauptete, er, Richard Owen, konnte sich nicht vorstellen, dass jemand wider besseres Wissen sein eigenes Todesurteil unterschreibt, und darauf lief es hinaus, wie Victor ihm erklärt hatte. Ein Mordgeständnis kommt in China einer Hinrichtung gleich. Kein Richter interessierte sich dafür, wie es zustande kam. Ob während der Tat Alkohol oder Drogen im Spiel gewesen waren. Ob der Täter als Kind missbraucht wurde, unter Rassismus oder Diskriminierungen litt oder sonstige so genannte mildernde Umstände geltend machen kann. Bei uns, hatte Victor gesagt, ist ein Mord ein Mord und wird mit dem Tode bestraft, so wie in Amerika. Warum konnte Elizabeth nicht abwarten, was das Gericht am Freitag entscheiden würde? Als wenn diese idiotischen Nachforschungen des Herrn Leibovitz und seines Freundes ihren Sohn wieder lebendig machen könnten.
    Lotus Metal? Es tut mir leid, Frau Owen, da muss ich passen.
    Das machte er gut, sehr gut sogar. Gelassen, höflich, ohne sich von ihr provozieren zu lassen. Richard hatte gewusst, dass Tang vor einer betrunkenen Elizabeth nicht die Contenance verlieren würde.
    Wang Ming?
    Richard zuckte zusammen. Tang zögerte, seine Stimme klang plötzlich eine Spur weniger gelassen, aber das wird Elizabeth nicht gehört haben. Für diese Zwischentöne hatte sie kein Gespür.
    Was wollte sie jetzt wissen? Wer hat meinen Sohn ermordet? Und das in diesem Ton! Sie sprach nicht nur erregt und aufgebracht, es hörte sich ja fast so an, als sei Tang in ihren Augen ein Verdächtiger. Das ging zu weit. Das musste er sich nicht bieten lassen. Sie konnte doch nicht ernsthaft die Möglichkeit in Erwägung ziehen, dass Tang …
    Victor hatte mit ihm am Tag von Michaels Verschwinden gesprochen. Sie hatten sich überlegt, wie sie Michael von weiteren Verhandlungen abhalten konnten, ob es Sinn machen würde, ihm eine Art Denkzettel zu verpassen, eine deutliche Warnung. Damit war Richard einverstanden gewesen, ohne lange nachzufragen, was Tang darunter verstand. Es lag am Ende auch in Michaels Interesse, auch wenn der das natürlich ganz anders gesehen hätte. Niemals wäre Tang so weit gegangen, Michael körperliche Schmerzen zuzufügen. Das war schlicht undenkbar. Wenn der Täter wirklich noch nicht in Haft saß, wenn die Geschichte mit dem Alibi tatsächlich der Wahrheit entsprach, dann musste es ein Raubmord, ein Unfall, eine Verwechslung gewesen sein.
    Worüber regte sie sich jetzt so auf? Tang hat ihr ganz höflich geantwortet. Weshalb beschimpfte sie Herrn Leibovitz? Nur weil der nicht in ihre hysterischen Fragen und Mutmaßungen einstimmt? Es war höchste Zeit zu gehen. Es war höchste Zeit, dass sie nach Milwaukee zurückflogen und zur Ruhe kamen.
    Was war jetzt los? Paul Leibovitz würde noch allein bei Tang zum Essen bleiben? Auf Einladung von Victor? Richard hatte keine Ahnung, was genau das zu bedeuteten hatte, aber diese Wendung gefiel ihm nicht. Was wollte Victor denn mit diesem Mann besprechen?
    Richard zögerte. Tangs Fahrer konnte Elizabeth auch ohne ihn zurück ins Hotel bringen. Sie stand in der Tür. Sie rief nicht nach ihm, es schien ihr gleichgültig zu sein, ob er noch länger hier blieb oder sie begleitete, aber er konnte sie nicht allein lassen, er hatte plötzlich Angst, sie sonst nie wiederzusehen. Er entschuldigte und verabschiedete sich und folgte seiner Frau zum Auto.

XXVII
    Fragen Sie Herrn Leibovitz, wenn Sie mir nicht glauben. Er hat mit seinem Freund von der Mordkommission…
    Paul schloss für einen kurzen Moment die Augen und hoffte, dass er sich verhört hatte. Wie konnte sie das tun? Hatte er ihr nicht im Hotel in Hongkong erklärt, dass sie an diesem Abend Geduld haben müssten; dass sie das Alibi und David Zhang unter gar keinen Umständen erwähnen durfte, weil sie damit sowohl seinen Freund als auch die Frau des Verdächtigen in Lebensgefahr bringen würde? Sie hatte zwar abwesend durch die Lobby geschaut, ihm aber zugehört und versprochen zu schweigen und

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