Das Flüstern der Schatten
dem College, der Elizabeth nicht widerstehen konnte? Wo das Strahlen, dieses selbstbewusste Mir-gehört-die-Welt-Lächeln, das keine Niederlagen zu kennen schien und das ihr, der schüchternen und unsicheren Tochter eines ebenso schüchternen und unsicheren Sears-Vertreters, so imponierte? Damals hatte sie es als eine Ehre empfunden, dass er ausgerechnet sie unter all seinen Verehrerinnen ausgewählt hatte. Hätte er doch nur die Ziege genommen, die so scharf auf ihn war, dass sie selbst auf dem Polterabend noch versuchte, mit ihm zu flirten.
Richard war zwar immer noch groß, aber er wirkte zwischen Paul und Tang geradezu gebrechlich. Vor allem im Vergleich zu dem chinesischen Unternehmer. Der stand kerzengerade neben ihm, in der Hand ein Glas Champagner, ein wenig mit den Füßen wippend, immer auf Augenhöhe mit ihrem Mann. Er trug eines dieser chinesischen Jacketts mit Stehkragen, ganz in Schwarz, es ließ ihn streng, fast ein wenig einschüchternd und ziemlich gut aussehen, das musste sie zugeben. In manchen Augenblicken erschien er ihr wie das Abbild ihres Mannes in jungen Jahren, obgleich der Altersunterschied weniger als fünfzehn Jahre betrug. Die gleiche Zuversicht, die gleiche Entschlossenheit und Kraft, die Richard früher ausgestrahlt hatte, auch wenn Tang dabei ernst und konzentriert blickte, anstatt siegesgewiss zu lächeln.
Bevor sie ihn kennen lernte, hatte sie gedacht, alle Chinesen wären klein und hässlich wie dieser Dang oder Deng oder wie er hieß, der einmal auf Staatsbesuch in Amerika war und sich dabei mit einem viel zu großen Cowboyhut auf dem Kopf fotografieren ließ. An das Bild erinnerte sie sich gut, vor allem an die plumpe Anbiederung, die in ihren Augen darin steckte; sie hatte sich damals gefragt, wie man sich freiwillig so lächerlich machen konnte.
Victor Tang war anders. Sie mochte ihn nicht, aber niemand konnte ihm vorwerfen, dass er sich anbiederte. Er hatte Manieren und Geschmack, er war höflich, aber nie unterwürfig.
»Herr Tang?« Das hatte etwas schrill geklungen, zugegeben, machte aber nichts, jetzt blickten die drei Herrschaften wenigstens auf und in ihre Richtung. Richard ahnte, was nun kommen würde, sie sah es in seinen Augen. Er hatte diesen Dackelblick, den sie so verabscheute. Wovor hatte er denn so eine Angst? In seinem Gesichtsausdruck lag etwas Bettelndes, ja Flehendes, und das ließ ihn wie einen Schwächling aussehen. So ein jämmerliches Bild hatte er früher nie abgegeben.
»Herr Tang, sagt Ihnen der Name Metal Lotus etwas?« Oder hieß es Lotus Metal? Mist, war das schon die Wirkung des Whiskeys? Unmöglich, den hatte der Kellner doch eben erst zum zweiten Mal gebracht, und das Glas war noch voll, na ja, halb voll. Egal, Tang würde wissen, was sie meinte.
Richard? Untersteh dich! Sie wollte jetzt kein Wort von ihm hören. Ein Blick von ihr genügte und sie wusste, er würde es nicht wagen, sich einzumischen.
»Ich fürchte, damit kann ich nichts anfangen. Vielleicht können Sie mir helfen? Worum handelt es sich? Eine Firma?«
»Das wollte ich ja von Ihnen wissen, Herr Tang.«
»In welchem Zusammenhang haben Sie davon gehört?«
»In gar keinem Zusammenhang. Michael hat es einmal in einem Nebensatz erwähnt. Metal Lotus oder Lotus Metal, ich erinnere mich nicht genau.«
»Es tut mir leid, Frau Owen, da muss ich passen.«
Sagte er die Wahrheit? Sie konnte chinesische Gesichter nicht lesen. Irgendwie sahen sie alle gleich aus.
»Und Wang Ming? Ist das ein Freund von Ihnen?«
»Wang Ming? Wer soll das sein? Warum fragen Sie? Hat Michael den Namen einmal erwähnt?«
Da war sie, genau darauf hatte sie gewartet, auf diese Andeutung einer Unsicherheit in seinem sonst so gelassenen Ton. »Hat Michael den Namen einmal erwähnt?« Warum wollte er das wissen? Seine Frage hatte angespannt geklungen, nur eine Spur, aber Elizabeth Owen hatte es nicht überhört.
»Ja, Michael hat häufiger von ihm gesprochen, auch in Verbindung mit Ihnen«, log sie.
»Da liegt eine Verwechslung vor. Ich höre den Namen zum ersten Mal.«
Er log! Aber wie! Das war gar nicht mehr zu überhören. Das konnte auch Richard und Paul nicht entgangen sein. Die kurzen Sätze, die Schärfe in seiner Stimme, so sprach jemand, der etwas zu verbergen hatte. Sie musste nur weitermachen, sie durfte jetzt keine Ruhe geben, sich nicht mit Ausflüchten abspeisen lassen, sie hatte seine Fährte aufgenommen und würde ihn mit ihren Fragen immer weiter in die Enge treiben, bis er ihr
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