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Das Flüstern der Schatten

Das Flüstern der Schatten

Titel: Das Flüstern der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Philipp Sendker
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Halle, größer als ein Footballfeld, vollgestopft mit hochmodernen Maschinen, die besten amerikanischen Geräte. Schneller. Sauberer. Sicherer. Effizienter. Hundert Millionen Dollar hatten sie dafür ausgegeben in der Überzeugung, damit für die Zukunft gerüstet zu sein.
    Keine zwei Jahre später saß zum ersten Mal so ein junger Einkäufer von General Motors in Richard Owens Büro. Er war kaum älter als sein Sohn, kam frisch von der Universität, hatte alle möglichen Zahlen im Kopf, aber von der Praxis keine Ahnung. Einer dieser Typen, die die Universitäten wie am Fließband auszuspucken schienen. Die Einladung zum gemeinsamen Mittagessen schlug er aus, rauchte nicht, trank statt Kaffee eine Cola light nach der anderen und wollte über Preise verhandeln. Erzählte ihm, Richard Owen, etwas von Kostendruck und kürzeren Lieferfristen, von weiterer Rationalisierung in der Fertigung und einem Konkurrenten aus Pusan, dessen Qualität nicht viel schlechter sei. Pusan? fragte Richard Owen, nicht sicher, ob er das Wort richtig verstanden hatte. Pusan, Südkorea, antwortete dieser Schnösel in einem unerträglich arroganten Ton. Als müsse man in Wisconsin jedes verschissene Kaff in Korea kennen. Es hatte nicht viel gefehlt, und Richard Owen hätte ihn rausgeschmissen.
    Michael war bei dem Gespräch dabei gewesen, hatte sich Notizen gemacht und kaum etwas gesagt. Einen Monat später kam er zum ersten Mal mit seiner China-Idee. Er wollte nach Hongkong, Shanghai und Shenzhen reisen und recherchieren, ob die Verlagerung zumindest eines Teils der Produktion sinnvoll sein könnte. Richard Owen hatte zunächst geglaubt, sein Sohn mache einen Scherz. Sie hatten gerade hundert Millionen Dollar in eine neue Fabrik, in die Zukunft von Aurora Metal investiert, warum sollten sie am anderen Ende der Welt produzieren? In einem Land, das von Kommunisten regiert wird. So groß konnten die Einsparungen gar nicht sein, dass er mit denen Geschäfte machen wollte. Er war ein sehr konservativer Mensch, ja, altmodisch und von gestern, wenn es sein Sohn so sehen wollte. Schon die bloße Vorstellung, ins Ausland zu gehen, nur weil sie dort für ein paar Cents weniger produzieren konnten, empörte ihn. Sie mussten sich nicht vor Aktionären rechtfertigen. Patriotismus war für ihn mehr als nur eine Floskel. Er hatte zeit seines Lebens amerikanisch gekauft. Nie wäre er auf die Idee gekommen, ein deutsches oder japanisches Auto zu fahren. Als er sein erstes Motorboot bestellte, bestand er darauf, den Yamaha Motor durch einen Mercury zu ersetzen. Er trank ausschließlich amerikanischen Wein und amerikanisches Bier, ein Gast musste lange suchen, bevor er im Hause Owen ein ausländisches Produkt fand.
    Aber Michael gab keine Ruhe. Jede Woche kam er mit neuen Zahlen und Statistiken, mit Beispielen aus anderen Branchen, mit vergleichbaren Familienunternehmen, die ihre Fabriken in Indiana, Illinois oder den Carolinas schlossen und nach Indien oder China umsiedelten. Eines Tages fuhr Michael mit ihm in ein Wal-Mart-Super-Center und führte ihn durch die langen Regalreihen. Sie fingen bei den Schuhen an, wahllos griff Michael welche heraus, drehte sie herum, schaute auf die Sohlen und zeigte sie ihm, ohne ein Wort zu sagen. Made in China stand da. Auf jedem Paar. Na und, sagte Richard Owen, Schuhe, was sind schon Schuhe. Sie gingen weiter zu den Hosen und Jacken, zu den Lampen und Gartenmöbeln, zum Werkzeug, den Spielsachen und Digitalkameras. Sie zogen Fernseher und DVD Recorder aus den Regalen, überall dieselben drei Wörter: Made in China . Wal-Mart, ausgerechnet Wal-Mart, dachte Richard Owen. Wie lange war es her, dass vor ihren Einkaufshallen riesige Plakate hingen mit der Aufschrift: Made in America ? Dass jeder Kunde einen Button mit buy american! in die Hand gedrückt bekam? Zehn Jahre? Niemals. Fünf, höchstens. Michael fragte seinen Vater, ob der eigentlich wisse, wie viel Prozent der Waren bei Wal-Mart aus China stammen? Richard Owen hatte das Gefühl, gar nichts mehr zu wissen, er fühlte sich alt, furchtbar alt und wollte nach Hause. Er schüttelte den Kopf und nahm die Antwort nur am Rande wahr: Fast achtzig Prozent, erklärte ihm sein Sohn mit triumphierendem Ton in der Stimme.
    Dennoch blieb Richard Owen zunächst stur. Was interessierte ihn Wal-Mart behauptete er, Aurora Metal belieferte keine Konsumenten, die auf jeden Cent achteten, die es immer nur billiger und billiger haben wollten, ihre Kunden waren General Motors und Ford und

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