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Das Flüstern der Schatten

Das Flüstern der Schatten

Titel: Das Flüstern der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Philipp Sendker
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eine Eigentumswohnung, der oberste Mordkommissar einen BMW. Er hatte die Männer häufig in Bordelle eingeladen und großzügig mit Geschenken bedacht und besaß genug belastendes Material, um ihre Karrieren bei der nächsten politischen Kampagne gegen korrupte Beamte zu beenden.
    Er wollte sie nicht daran erinnern müssen.

XIII
    Die Cathay Heavy Metal Fabrik lag in einem Industriepark im Nordwesten Shenzhens, noch ein ganzes Stück hinter dem neuen Flughafen. David hatte den letzten verfügbaren Wagen des Fahrdienstes bekommen, einen alten VW-Passat, dessen Sitze und Stoßdämpfer so ausgeleiert waren, dass er jede Unebenheit der Straße schmerzhaft in seinem Rücken spürte. Das Gelände ähnelte, wie die meisten Fabrikanlagen, die David Zhang besucht hatte, einer kleinen Festung. Es war von einem hohen, silberfarbenen Metallzaun umgeben, an dessen Toren Wachposten hockten, junge Männer in schlecht sitzenden Uniformen, die bei jedem ihnen vertrauten Wagen strammstanden und salutierten und jeden Fremden misstrauisch kontrollierten. David ließ sich langsam einmal um das Grundstück fahren, das sich etwa über die Größe eines Straßenblocks erstreckte. Er sah einen Bürokomplex und mehrere Hallen, dahinter lagen die Wohnblöcke der Arbeiter. Neben dem Eingang wehten drei große chinesische und zwei amerikanische Flaggen im Wind.
    Auf dem Parkplatz vor den Büros standen schwarze Limousinen, darunter ein großer Mercedes. Zwei der Wagen erkannte er an ihren Nummernschildern, sie gehörten zum Fuhrpark des Polizeipräsidiums. Er schrieb sich die Nummern auf, um später herausfinden zu können, wem der Mercedes gehörte und für wen die Dienstwagen bestellt worden waren. David konnte sich nicht erinnern, dass einer seiner Kollegen während der Sitzung am Morgen einen geplanten Besuch bei Cathay Heavy Metal erwähnt hatte.
    Gegenüber der Fabrik lagen mehrere Straßenzüge voller Geschäfte, Restaurants und Teehäuser, in denen sich die Arbeiter der umliegenden Unternehmen nach der Schicht oder an den Wochenenden trafen. David machte sich auf die Suche nach einem Sichuan-Restaurant. Dort würden die Wanderarbeiter zusammensitzen, die aus der Provinz stammten, und er könnte in ihrem Dialekt Gespräche beginnen, ohne dass jemand fragen würde, woher er komme und was er hier zu suchen habe. Die gemeinsame Herkunft aus Sichuan würde genügen, um ihn als einen der ihren zu akzeptieren.
    Er hatte Glück, nur zwei Straßenecken entfernt entdeckte er das Old Sichuan. Die Neonreklame über dem Eingang versprach den besten Hotpot in Shenzhen. Das Lokal war heruntergekommen, der rote Teppich abgetreten und mit Fettflecken und Essensresten übersät, in den Aquarien an der Hinterwand dümpelten halb tote Fische, trotzdem war es voll. Das Essen muss gut sein, dachte David und ging langsam durch die Reihen, schaute sich um, als suche er einen Bekannten. Er entdeckte niemanden, zu dem er sich setzen wollte. Vor der Tür standen ein Dutzend Tische mit Plastikhockern, auch sie waren trotz der Hitze alle besetzt.
    An einem Tisch saß eine Gruppe von Männern, die graue Overalls mit dem Firmenlogo von Cathay Heavy Metal trugen und laut durcheinanderredeten. Er hockte sich zu ihnen, bat um eine Zigarette, fragte, ob sie den Hotpot empfehlen könnten, ob er so gut sei wie in Chongqing, sagte, wie er sich freue, diesen, seinen Dialekt zu hören, und keine zwei Sätze später forderten sie ihn auf, mit ihnen zu essen, bestellten ungefragt noch einen Teller, ein Glas und ein Bier.
    Die Männer fingen gerade mit ihrem Hotpot an, in der Mitte des Tisches stand ein Kessel mit einer köstlich duftenden, brodelnden Brühe, drum herum lagen auf verschiedenen Tellern die Zutaten, Shiitake- und Austernpilze, Wasserspinat, Blumenkohl, Sojabohnensprossen, Lotuswurzeln, Tofu, Huhn, geräucherter Speck, dünne Scheiben Fleisch und Schweinenieren. Schon bei ihrem Anblick bekam er Heimweh. Obgleich er seit über zwanzig Jahren in Shenzhen lebte, war ihm die Stadt nicht ans Herz gewachsen. Wie soll sich ein Mensch mit einem Ort vertraut machen, der sich so schnell verändert, dass ihn nach ein paar Jahren keiner seiner Bewohner wiedererkennt? In dem Neubauten bereits nach kurzer Zeit Neuneubauten weichen müssen, während irgendjemand irgendwo schon die Neuneuneubauten plant. Wie kann ein Mensch Wurzeln schlagen, wenn er alle paar Jahre umgepflanzt wird? Außerdem gefiel David die südchinesische Geschäftigkeit nicht, mit der die Einwohner Shenzhens

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