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Das Flüstern der Schatten

Das Flüstern der Schatten

Titel: Das Flüstern der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Philipp Sendker
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Kommissar, nichts unversucht lassen, den Mord aufzuklären, damit der Täter für diese feige und hinterhältige Tat seine gerechte Strafe erhält. Das verlangt schon die Freundschaft, nicht wahr?«
    David tat, was Lo von ihm erwartete, er hörte aufmerksam zu und nickte.
    »Man wird Ermittlungen anstellen, jede Spur verfolgen, wenn nötig auch auf eigene Faust. Wir wissen alle, was wir unseren Freunden schuldig sind, habe ich Recht?«
    Bevor David erneut nicken konnte, verlor Los Stimme ihren langsamen, dozierenden Ton und wurde so hart und scharf, wie David es von Parteisitzungen und ihren endlosen Selbstkritiken erinnerte.
    »Bist du deshalb heute Morgen bei der Cathay Heavy Metal Fabrik gewesen? Was wolltest du dort?«
    »Ich... ich...« David war so überrascht, dass er ins Stottern geriet. Warum musste er sich für ganz normale Ermittlungsarbeit rechtfertigen? Woher wusste sein Vorgesetzter überhaupt davon? Hatte es ihm der Fahrer erzählt? War er vor der Fabrik gesehen worden, oder ließ ihn Lo etwa beschatten?
    Ohne eine längere Antwort abzuwarten, fuhr Lo fort: »Das war nicht mit mir abgesprochen. Diese Art von eigensinnigen Recherchen kann die ganzen Ermittlungen gefährden. Sie haben sofort zu unterbleiben, hast du das verstanden?«
    »Ja«, antwortete David. Er fühlte einen Brechreiz in sich aufsteigen. Nicht jetzt. Bloß nicht auf Los Sofagarnitur kotzen.
    Die Stimme seines Chefs wurde plötzlich ruhiger, fast freundlich: »Vielleicht gibt es einen alten Fall, mit dem du dich ein paar Tage beschäftigen kannst?« Lo beobachtete ihn, zog an seiner Zigarette und presste den Rauch langsam durch die Mundwinkel hinaus. »Der Weise passt sich den Umständen an, wie das Wasser an sein Gefäß. Das wusste man schon in der Tang-Dynastie.«
    »Der größte Sieg ist die Schlacht, die wir nicht schlagen«, erwiderte David.
    »Sehr richtig, du hast mich verstanden«, antwortete Lo.
    »Klingt ebenfalls nach Tang-Dynastie.« Er hielt für einen Augenblick inne, als überlegte er, ob er mit einem anderen Sprichwort entgegnen sollte.
    Deutlicher hätte ihn sein Chef nicht warnen können, gleichzeitig bot er ihm einen Ausweg an, bei dem niemand das Gesicht verlieren würde. »Noch was?«, fragte Lo in einem Ton, der keinen Zweifel daran ließ, dass das Gespräch für ihn beendet war.
    »Sei freundlich zu unfreundlichen Seelen, sie brauchen es am meisten«, hörte David sich sagen und bereute den Satz im selben Moment. Das war weder ein passendes Sprichwort noch eine freundliche Antwort, es war nichts als eine unnötige Provokation.
    Lo zog erneut an seiner Zigarette und schwieg für einen Moment. Ihre Blicke trafen sich, und David sah an den Augen seines Gegenübers, dass er sehr angestrengt überlegte, ob und wie er diese Herausforderung annehmen sollte.
    Plötzlich huschte ein Lächeln über Los Gesicht. »Schön gesagt, aber das ist unmöglich ein chinesisches Sprichwort, Zhang. Das kannst du mir nicht erzählen. Das hat sich vielleicht dein Buddha ausgedacht, aber mit Sicherheit kein Chinese«, antwortete er und lachte, zunächst leise, dann immer lauter und heftiger, bis er sich verschluckte.
     
    Als David eine halbe Stunde später das Präsidium verließ, standen im Hof die beiden schwarzen Audi-Limousinen, die er am Morgen auf dem Gelände von Cathay Heavy Metal gesehen hatte. Die Fahrer saßen in ihren Autos und schliefen. Er klopfte an ein Fenster und weckte einen von ihnen.
    »Was willst du?«, raunzte der Mann ihn an.
    »Ich brauche dringend einen Wagen«, log er. »Ist einer von euch frei?«
    Der Fahrer schüttelte den Kopf. »Keine Zeit. Geh zum Fahrdienst. Wir fahren heute Yip und Lo.«
    »Den ganzen Tag?«, fragte David so bleiläufig wie es möglich war.
    »Den ganzen Tag«, wiederholte der Mann, ließ das Fenster wieder hochfahren und drehte sich zur Seite.
     
    Er machte sich auf den Weg nach Hause. Je länger er über die Geschichte nachdachte, desto rätselhafter wurde sie. Selten hatte er Lo derart aufgebracht und angespannt gesehen. Was machte den Fall so brisant, dass sich der Parteisekretär einmischte und Lo ihn, David, eindringlich warnte, weiter zu ermitteln? Nur die Angst vor den Meldungen in der internationalen Presse und ein paar verschreckte Investoren konnten es nicht sein. Hinter der Geschichte steckte mit Sicherheit mehr.
    David überlegte, was er jetzt tun sollte. Er konnte der Aufforderung Los folgen und sich mit dem Prostituiertenmord aus dem vergangenen Jahr beschäftigen, ein

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