Das Flüstern der Stille
lebendig, eine Naturgewalt, jung. Ich bin nicht daran gewöhnt, mich um sie zu kümmern; sie hat sich immer um mich gekümmert. Seltsam, ich weiß, weil ich bis zu meinem zweiundvierzigsten Lebensjahr Junggeselle und durchaus und sehr gut in der Lage war, mich um mich selbst zu kümmern – bis ich Fielda kennenlernte.
Ich betrete das Schlafzimmer und schließe die Tür hinter mir. Der Raum ist kühl, die Geräusche gedämpft. Gehorsam legt Fielda sich die Tabletten auf die Zungenspitze und trinkt das Wasser, das ich ihr reiche. Ich ziehe die Decke über die Rundung ihrer Schulter, als sie ihren Kopf auf das Kissen legt. „Nur für eine Minute“, sagt sie. Sie will sich nicht ausruhen, weiß nicht, wie sie auch nur an Schlafen denken kann, solange ihre Tochter irgendwo da draußen ist, aber ich murmle ihr ins Ohr, dass sie die Augen einfach nur für ein paar Minuten schließen soll. Ihr lockiges Haar liegt ausgebreitet auf dem Kissen, sehr dunkel gegen den frisch gestärkten Bezug. Ich sehne mich danach, neben sie zu krabbeln, eine Handvoll Tabletten zu nehmen und mich vom Schlaf übermannen zu lassen. Doch ich kann nicht; ich muss wach sein, bereit, bei der Suche nach Petra zu helfen. Louis und Fitzgerald haben mir versichert, dass sie mich anrufen werden, sobald sie mit der Befragung von Antonia und ihrem Sohn fertig sind.
Nachdem Fitzgerald und Louis ihre letzte Frage gestellt, uns die Hand geschüttelt und ins Auto gestiegen waren, hatte ein schmutziges, ans Perverse grenzendes Gefühl mich übermannt. Sicher, Agent Fitzgerald hatte mich nicht beschuldigt. Aber er hatte darum gebeten, dass Fielda und ich im Polizeirevier vorbeikommen und unsere Fingerabdrücke abgeben. Nur zu Ausschlusszwecken, hatte er beteuert. Ich bin kein uninformierter Mensch – auch wenn ich ab und zu die Welt um mich herum nicht wahrnehme –, sondern ich bin mir sehr wohl bewusst, dass in Fällen von vermissten Kindern die nächsten Angehörigen auch die ersten Verdächtigen sind. Und oft sind sie auch tatsächlich schuldig. Die Vorstellung, dass der Polizei, meinen Nachbarn, den Kollegen am College auch nur der Gedanke käme, ich könnte zwei kleinen Kindern, meiner Tochter , etwas antun, macht mich wütend. Ich weiß, dass Fielda und ich mit der Sache nichts zu tun haben, und dass wertvolle Minuten auf diese Überlegungen verschwendet werden, macht mich krank.
Ich erinnere mich an das Gefühl von damals, als Fielda mich verlassen hatte. Die zweite von zwei Gelegenheiten, bei denen wir getrennt waren. Ein panisches Gefühl des Außer-Kontrolle-Seins, das in meinen Fingerspitzen anfing und durch meine Adern in mein Innerstes strömte, mich aus dem Gleichgewicht stieß. Seit dem Tag, an dem Fielda und ich geheiratet haben, hatte Fielda von Kindern gesprochen, von einem ganzen Haus voller lockiger, dunkeläugiger Babys, die Bücher so liebten wie ich und Essen so sehr wie Fielda. Um ehrlich zu sein, war ich so erstaunt darüber, diese faszinierende, wunderschöne Frau an meiner Seite zu haben, dass mir das Verheiratetsein irgendwie unecht erschien, magisch. Kinder hatte ich genauso betrachtet. Ich konnte mir nicht vorstellen, ein Vater zu sein.
Fielda konnte Stunden damit zubringen, Elternzeitschriften und Kindermodenkataloge durchzublättern, sie genau zu studieren und Pläne zu schmieden. Ich nickte immer und gab undefinierbare Geräusche von mir, wenn sie mir einen bestimmten Artikel über vorgeburtliche Krankenversorgung oder organische Babynahrung zeigte. Monate vergingen, dann ein Jahr, und kein Baby. Im Rückblick hätte ich die Veränderung in Fielda sehen müssen – die allmählich gebeugte Haltung, die leicht nach unten gezogenen Mundwinkel, die Art, wie sie im Supermarkt und in der Kirche frischgebackene Mütter anschaute – aber mir ist es nicht aufgefallen.
Zwei Jahre, drei, dann vier las Fielda weiter Elternratgeber. Sie konnte nur noch über Babys reden. Wie man schwanger wurde, eins bekam, eins aufzog. Ich schäme mich zu sagen, dass ich die Geduld mit ihr verlor. Ich bin kein begabter Handwerker, aber hin und wieder gelingt es sogar mir, ein Rohr zu flicken oder eine Sicherung zu wechseln. Ich ging in unseren Keller, wo ich meine Werkzeugkiste aufbewahrte, die beinah wie neu war mangels Gebrauch. Ich wollte den Duschkopf im Badezimmer austauschen. Ich weiß nicht, warum mein Blick auf die Kiste fiel, aber er tat es. Es war ein großer, unbedruckter Plastikcontainer mit einem blauen Deckel, und er schien mit
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