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Das Flüstern der Stille

Das Flüstern der Stille

Titel: Das Flüstern der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivonne Senn Heather Gudenkauf
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Kleidung gefüllt zu sein. Vielleicht war es der pinkfarbene Stoff, der so sehr aus dem eintönigen Grau des Kellers hervorstach, der mich darauf aufmerksam werden ließ. Ich weiß es nicht. Aber ich nahm die Kiste vom Regal und öffnete sie, beinah ängstlich, als würde ich etwas Verbotenes tun. Darinnen fand ich Dutzende winziger Babysachen in Pink und Blau und Gelb, an denen noch immer die Preisschilder hingen. Es gab Kleider für Mädchen und Latzhosen für Jungen, kleine Socken, die kaum über meinen Daumen passten. Dazu Lätzchen, auf denen „Daddys kleines Mädchen“ oder „Wo ist meine Milch?“ stand. Es war nicht das Geld, das mich störte – auch wenn der Berg an Kleidung ein kleines Vermögen gekostet haben musste. Es erschien mir nur so traurig. Beinah armselig. Im Rückblick sehe ich, dass es ein Ausdruck der Hoffnung war. Für Fielda bedeutete das Kaufen der Kindersachen, dass sie empfangen und ein Kind bekommen würde. Sie konnte gar nicht anders, sie hatte doch schon die ganze Ausstattung. Damals habe ich das allerdings nicht so gesehen. Ich nahm mir eine Handvoll Klamotten, und winzige T-Shirts, und während hinter mir kleine Schühchen zu Boden fielen, stürmte ich die Treppe hinauf.
    „Fielda!“, brüllte ich und erschreckte sie damit so sehr, dass ihr der Topf Spaghetti aus der Hand fiel, den sie gerade zur Spüle tragen wollte. Sie sprang zurück, um nicht vom kochend heißen Wasser getroffen zu werden, und schlaffe Nudeln schlitterten über den Fußboden.
    „Martin“, fuhr sie mich ungeduldig an. „Was soll das?“
    „ Das soll das“, sagte ich und hielt die Babykleidung hoch. „Bist du verrückt geworden?“, fragte ich. Worte, die ich unmittelbar bereute, denn sie sah so aus, als ob sie sich bereits das Gleiche gefragt hatte. Aber ich tobte weiter. „Fielda, wir haben kein Baby. Vielleicht werden wir auch niemals eins bekommen. Vielleicht ist es an der Zeit, dass du dich dieser Tatsache stellst.“
    „Ich werde ein Baby bekommen, Martin“, erwiderte sie mit gefährlich leiser Stimme. „ Kein Baby zu haben ist für mich einfach unmöglich. Ich muss ein Baby bekommen“, fuhr sie fort, und ich sah, wie das Leuchten in ihren Augen schwand. Ein Gefühl der Angst umklammerte mich, aber ich verscheuchte es.
    „Oh, sei nicht so dramatisch“, sagte ich grausam. „Ich werde nicht still danebensitzen und zusehen, wie du Geld an ein Baby verschwendest, das gar nicht existiert.“ Ich hätte sie genauso gut ohrfeigen können. Der Schmerz in ihrem Gesicht nimmt mir immer noch den Atem, und die Tatsache, dass ich ihn verursacht habe, lässt meine Wangen bis heute vor Scham brennen.
    Mit steifen Schritten verließ sie die Küche und rutschte beinah auf den Spaghetti aus. Fast eine Woche lang hat sie nicht mit mir gesprochen. Und auch als sie wieder mit mir redete, erlaubte sie mir nicht, sie zu berühren. Sie verbrachte endlose Minuten im Badezimmer und kam mit roten, verquollenen Augen wieder heraus, aber sie weinte nie vor mir. Eines Tages fand ich die Schlaftabletten im Medizinschränkchen. Gut, sagte ich mir. Vielleicht würde sie jetzt wieder anfangen, die Nächte durchzuschlafen, anstatt ruhelos auf und ab zu wandern. Wenn ich darüber nachgedacht hätte, hätte ich es gewusst. Ich hätte es wissen müssen. Ich hätte die Flasche in dem Moment wegschmeißen sollen, als ich sie fand.
    Von heute auf morgen war es so, als wäre nie etwas gewesen, und sie schien wieder die alte Fielda zu sein. Ich dachte, dass sie endlich zu Sinnen gekommen sei, sich entschieden habe, der Natur ihren Lauf zu lassen. Aber ich irrte mich. Ihre Mission, Mutter zu werden, war so stark wie immer, und ich erfuhr von ihrem Besuch beim Arzt, als die Arzthelferin mich anrief, um einen neuen Termin auszumachen.
    „Wir haben die Untersuchungsergebnisse“, informierte die Dame mich. „Der Doktor würde Fielda gern sehen, um sie mit ihr zu besprechen.“
    Ich habe ihr die Nachricht weitergegeben, wobei ich versuchte, meinen Schmerz darüber, aus diesem Teil von Fieldas Leben ausgeschlossen zu sein, zu verbergen. Obwohl ich sagen muss, dass ich ihr keinen wirklichen Vorwurf machen konnte. Ich hatte ihr gesagt, sie solle damit aufhören, und das war etwas, was Fielda niemals tat – aufgeben, meine ich. Sie dankte mir für die Mitteilung und schaute mich dabei an, als ob sie mich herausfordern wolle, etwas dazu zu sagen. Ich tat es nicht.
    Stattdessen verlegte ich meine Kurse an diesem regnerischen Oktobertag und

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