Das Flüstern der Stille
seinem Vater sieht. Und ich bin eifersüchtig. Mein Junge, Tanner, kommt ganz nach der Familie seiner Mutter. Dunkle Haare und kleine, graublaue Augen. Ben wirkt nervös, aber irgendwie war er mir schon immer sehr hibbelig vorgekommen; leicht zu erschrecken, aber nett, höflich.
„Ben“, sage ich, „das ist Agent Fitzgerald. Er ist hier, um uns zu helfen, Calli und Petra zu finden.“ Fitzgerald schüttelt Ben die Hand. Dann setzen wir uns alle an den Küchentisch, Toni direkt neben Ben, Fitzgerald und ich ihnen gegenüber. Fitzgerald schaut Toni an.
„Mrs. Clark, wir würden die Familienmitglieder gern einzeln befragen. Dann reden sie manchmal etwas offener.“
„Oh, ich glaube, ich bleibe lieber hier bei Ben“, sagt Toni entschlossen.
„Toni, ich bin doch dabei. Mach dir keine Sorgen“, versichere ich ihr, und zögernd steht sie auf und verlässt den Raum.
„Ben“, beginnt Fitzgerald. „Wie alt bist du?“
„Zwölf“, antwortet er leise. Fitzgerald stellt ihm weitere Fragen, behält einen lockeren Ton bei, damit Ben sich etwas entspannt.
„Erzähl mir von deiner Schwester“, bittet Fitzgerald ihn.
„Sie ist gut“, sagt Ben. „Sie geht nie an meine Sachen, sie tut, was ich ihr sage …“
„Was sagst du ihr denn?“, unterbricht Fitzgerald.
„Irgendwelche Sachen. Dass sie mir helfen soll, den Müll rauszubringen, das Geschirr wegzuräumen, so was eben.“ Ben zuckt mit den Schultern.
„Streitet ihr zwei euch manchmal?“
„Nein. Es ist schwer, sich mit jemandem zu streiten, der nicht spricht.“
Bei dieser Antwort unterdrückt Fitzgerald ein Lächeln. „Sie weigert sich nie?“
„Nicht wirklich. Sie hilft gern.“
„Ihr steht euch ziemlich nah?“
„Ich denke schon. Wir hängen viel zusammen rum.“
„Du bist … zwölf? Ist es nicht ungewöhnlich für einen Jungen deines Alters, mit seiner siebenjährigen Schwester rumzuhängen?“
Ben zieht die Schultern hoch und lässt sie dann wieder fallen. „Calli hat nicht so viele Freunde, also spiele ich mit ihr.“
„Was ist mit Petra Gregory? Sie ist doch Callis Freundin, oder?“
„Ja, aber sie ist ja nicht immer da“, erklärt Ben.
Diese Antwort scheint Fitzgerald zufriedenzustellen.
Schnell jedoch schlägt er einen anderen Weg mit Ben ein.
„Ben, ich habe ein paar sehr nette Sachen über dich gehört“, beginnt er sanft. „Deine Lehrer, deine Nachbarn, alle halten dich für einen netten Jungen.“
Ich fürchte, ich weiß, worauf er hinauswill. Fitzgerald hatte mich vorhin danach gefragt, als wir die Akten durchgegangen sind. Ich habe ihm gesagt, dass es nichts hiermit zu tun hat und er es nicht ansprechen soll.
„Aber“, fährt Fitzgerald fort, „die Eltern von Jason Meechum haben ihre Bedenken wegen dir, Ben, und ihrem Sohn. Kannst du mir darüber etwas erzählen?“
„Jason Meechum ist ein Idiot. Und ein Lügner“, sagt Ben steif.
„Erzähl mir davon, Ben.“
„Ich muss Ihnen gar nichts erzählen“, erwidert Ben bockig.
„Nein, das musst du nicht.“ Fitzgerald klingt immer noch ganz sanft. „Aber du solltest. Ich will Calli helfen, du etwa nicht?“
„Ja, aber hier rumzusitzen und dumme Fragen zu beantworten wird ihr nicht helfen.“ Ben ist aufgestanden und schreit beinah. „Man kann ihr nur helfen, wenn man nach ihr sucht. Sie ist irgendwo im Wald!“
„Woher weißt du das, Ben?“, hakt Fitzgerald nach.
„Weil das der Ort ist, wo sie hingeht. Wenn sie wegwill oder allein sein will, dann ist das ihre Entscheidung.“ Jetzt schreit er wirklich.
Fitzgeralds Stimme hingegen ist dagegen nur noch ein Flüstern. „Und was ist, wenn es nicht ihre Entscheidung war?“
Und Ben stürmt aus der Küche.
Antonia
Ich höre die lauten Stimmen in der Küche und den Namen Jason Meechum. „Was zum Teufel ist hier los?“, frage ich ärgerlich, als ich hineingehe. „Was hast du zu ihm gesagt? Glaubst du wirklich, dass Ben irgendetwas damit zu tun hat? Er versucht doch nur zu helfen, gottverdammt.“
Ich bin wütend. Dieser Fremde hat meinen Sohn aus seinem eigenen Haus vertrieben, und Louis hat einfach danebengesessen und zugesehen. Er schaut auf seine Finger, das tut er seit seinem siebten Lebensjahr, wenn er weiß, dass er in Schwierigkeiten steckt. Agent Fitzgerald sieht nicht im Mindesten verstört aus. Natürlich, warum sollte er auch. Er rauscht einfach an, produziert Chaos, nimmt dann wieder seine Sachen und geht. Genau das sage ich ihm auch.
„Ich gehe ihm nach“, bietet Louis an, aber
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