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Das Flüstern der Toten (German Edition)

Das Flüstern der Toten (German Edition)

Titel: Das Flüstern der Toten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Darynda Jones
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und Boxershorts hielt einen Jungen mit einer Hand am Hals gepackt und drückte ihn an die Wand. Der Junge zerrte an den würgenden Fingern, als der Mann ihm mit seiner fleischigen Faust brutal aufs Kinn schlug. Der Junge erschlaffte, aber nur für eine Sekunde. Ohne etwas zu sehen, hob er die Hand, um den nächsten Schlag abzuwehren. Einen Moment lang schien sich der desorientierte Blick des Jungen auf mich zu richten. Dann schlug der Mann ihn erneut.
    »Oh, mein Gott, Gemma, wir müssen irgendwas unternehmen!«, schrie ich. Ich rannte auf eine Öffnung in dem Maschendrahtzaun zu, der die Schule umgab. »Wir müssen irgendwas tun!«
    »Charley! Warte!«
    Doch ich war bereits hinterm Zaun und hastete weiter zu der Wohnung. Ich sah zu dem Fenster hoch und erkannte, dass der Mann den Jungen auf den Küchentisch zwang.
    Die Außentreppe lag im Dunkeln. Trotzdem stolperte ich die Stufen hinauf und hämmerte erfolglos gegen die verschlossene Wohnungstür. Durch den Briefschlitz sah ich einen dunklen, verwaisten Flur.
    »Charley!« Gemma stand vor der Wohnung auf der Straße. Da das Fenster hoch lag, musste sie zurücktreten, um hineinschauen zu können. »Charley, schnell! Er bringt ihn um!«
    Ich lief zu ihr zurück, konnte den Jungen aber nicht sehen.
    »Er bringt ihn um«, wiederholte sie.
    »Wo sind sie hin?«
    »Nirgendwohin. Sie sind noch da«, antwortete sie tief getroffen. »Er ist gestürzt. Der Junge ist gestürzt, und der Mann – «
    Ich tat das Einzige, was mir in den Sinn kam. Ich rannte zu der aufgelassenen Schule zurück und griff mir einen Ziegelstein.
    »Was hast du vor?«, fragte Gemma, als ich durch den Zaun stieg und zu ihr zurückrannte.
    »Entweder ist das unser Ende«, sagte ich und zielte, »oder wir kriegen Hausarrest, was noch schlimmer wäre.«
    Gemma trat zurück, als ich den Ziegelstein durchs Küchenfenster schleuderte. Die große Scheibe splitterte, hielt jedoch einen atemlosen Augenblick lang stand, als sei sie angesichts dessen, was ich getan hatte, starr vor Schreck. Dann prasselten die Glassplitter in der stillen Nachtluft auf den Gehweg, und der Mann tauchte am Fenster auf.
    »Ich rufe die Polizei, du Scheißkerl!« Ich gab mir Mühe, überzeugend zu klingen, damit ich ihm Angst einjagte.
    Mit wutverzerrtem Gesicht funkelte er uns an. »Du kleines Luder. Dafür wirst du büßen.«
    »Weg hier!« Mein Instinkt übernahm das Ruder. Ich griff nach Gemmas Arm. »Los!«
    Als Gemma die Straße hinunterlaufen wollte, zog ich sie in Richtung des Wohnhauses, von dem wir uns eigentlich absetzen mussten.
    »Was denn nun?«, rief sie und klang vor lauter Angst ganz schrill. »Wir müssen zurück zum Auto!«
    Ich suchte Schutz im Dunkeln und zog Gemma in die Feuergasse zwischen dem Wohnhaus und einer Reinigung. »Wir laufen durchs Flussbett. Das geht schneller.«
    »Da ist es zu dunkel.«
    Mein Puls rauschte in meinen Ohren, als ich an Kisten und ramponierten Kartons vorbeilief. Die Kälte machte mir nichts mehr aus. Ich wollte nur noch den Jungen retten.
    »Wir brauchen ein Telefon«, rief ich. »Auf der anderen Seite des Flussbetts gibt’s einen Laden.«
    Nach dem Durchgang versperrte uns ein weiterer Maschendrahtzaun den Weg.
    »Und jetzt?«, jammerte Gemma hilflos.
    Dahinter lag das trockene Flussbett und auf der anderen Seite der Tante-Emma-Laden. Ich zog Gemma auf der Suche nach einer Lücke am Zaun entlang. Trotz der Sicherheitslampe auf der Rückseite der Reinigung stolperten und schlitterten wir in einem fort über den holprigen, vereisten Boden.
    »Charley, warte!«
    »Wir müssen Hilfe holen.« Dieser eine Gedanke blendete alle anderen aus. Ich musste dem Jungen helfen. Etwas so Gewalttätiges hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Adrenalin und Furcht pumpten brennend Galle in meinen Hals. Ich schluckte hart und atmete zur Beruhigung die frische Luft ein.
    »Warte. So warte doch.« Gemmas atemloses Flehen ließ mich endlich langsamer werden. »Ich glaube, da ist er.«
    Ich blieb stehen und fuhr herum. Der Junge kniete würgend neben einem Container und hielt sich den Bauch. Ich rannte zurück, Gemma griff nach meinem Arm, um nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten, während sie neben mir hertrabte.
    Als wir bei ihm ankamen, versuchte der Junge aufzustehen, doch er hatte zu viel einstecken müssen. Schwach und wackelig auf den Beinen, ging er wieder in die Knie und stützte sich mit einer Hand an dem Container ab. Die langen Finger der anderen Hand gruben sich in den

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