Das Flüstern der Toten (German Edition)
und Zucker in ihren Kaffee. »Ich nehme an, mein Arzt will nur sichergehen, dass da nichts mehr im Busch ist.«
»Ja, er ist nur vorsichtig«, nickte ich und rührte in meinem Kaffee. »Ich find’s gut, wenn einer vorsichtig ist, vor allem, wenn er die Macht über Leben und Tod in den Händen hält.«
»Tja, ich will bloß nicht, dass du dir Sorgen machst. Ich habe mich seit Jahren nicht mehr so gut gefühlt. Ich glaube, du hältst mich jung.« Sie zwinkerte mir über ihren Tassenrand zu.
Ich nahm einen ausgiebigen Schluck und fragte: »Ist das nicht Ambers Aufgabe?«
Sie schnaubte. »Amber lässt keine Gelegenheit aus, mir mitzuteilen, wie alt und langweilig ich bin. ›Gegen Charley kommst du nicht an‹, sagt sie dauernd. Sie ist sich zu neunzig Prozent sicher, dass du den Mond an den Himmel gehängt hast.«
»Wenigstens einer, der das denkt«, sagte ich und zog die Stirn kraus.
»Oh-oh«, gab sie zurück und stellte ihre Tasse ab. »Bist du wieder mit dem scharfen Vermisstenfahnder aneinandergeraten?«
Ich ließ mich zurücksinken und ärgerte mich über seine bloße Erwähnung. Und auch noch in meiner eigenen Wohnung. »So ein Wichser.«
»Also doch«, sagte Cookie. Ihre Miene hellte sich auf. Sie war sehr interessiert an Garrett. Irgendwie … beunruhigend. »Raus damit!« Sie rutschte näher. »Was hat er gesagt? Habt ihr euch gestritten? Geprügelt? Oder seid ihr übereinander hergefallen?«
»Puh«, machte ich und rümpfte die Nase. »Nicht mal wenn er der letzte scharfe Vermisstenfahnder auf Erden wäre.«
»Was dann? Du musst es mir sagen.« Mit der freien Hand packte sie mich am Kragen. Ich verkniff mir ein Kichern. »Wann kapierst du endlich, dass du stellvertretend für mich lebst?«
»Ist das so?«
»Na klar.« Sie glättete meinen Kragen und wandte sich wieder ihrem Kaffee zu. »Ich habe eine heranwachsende Tochter. Gehe nie aus. Und es vergeht kein Tag ohne Disney Channel. Und was Sex angeht«, sie wedelte dramatisch mit der Hand, »frag mich bloß nicht. Mein Sexualleben ist seit Jahren von Batterien abhängig. Ich brauche Einzelheiten.«
Als ich mich von der Bemerkung über Batterien erholt hatte, sagte ich: »Ich wollte dich doch mit diesem Dave verkuppeln.«
»Mit dem Brotlieferanten?« Sie dachte darüber nach und kniff dabei die Lippen zu einem strengen, dünnen Strich zusammen. »Na ja, ich könnt’s schlimmer treffen.«
Mir entwich ein Glucksen, worauf sie grinste.
»Also, erzählst du mir jetzt, was gestern Abend passiert ist?«
»Ah, ja, gestern Abend.« Ich berichtete ihr alles über Rosies Arschloch von Mann und versicherte ihr, dass ich Rosie sicher ins Flugzeug und außer Landes verfrachtet hatte. Dann erzählte ich ihr, wie der Morgen danach mit dem anderen Arschloch, Garrett, dem skeptischen Vermisstenfahnder, verlaufen war und von der fürchterlichen Begegnung mit Elizabeths Schwester. Der beste Teil kam zum Schluss: Reyes.
»Also Reyes, wie?«
»Ja.«
Sie lachte. »Könntest du das nicht mit einem Seufzen unterlegen?«
Grinsend schaufelte ich eine Schicht Erdbeerfrischkäse auf einen Blaubeerbagel und hatte quasi Getreide- und Milchprodukt und Obst in einem. »Das erste und einzige Mal, dass ich ihn gesehen habe, war in der Nacht im South Valley, mit Gemma.«
»Welche Nacht?« Dann machte Cookie große Augen. »Soll das heißen?«
»Soll es. Wenn ich mich nicht irre, war er das damals.«
Sie kannte die Geschichte. Ich hatte sie ihr ja auch nur ein Dutzend Mal erzählt. Mindestens. Während Cookie sprachlos dasaß, überlegte ich, was ich eigentlich über Reyes wusste. Leider nicht sehr viel.
Zur Zeit unserer ersten und einzigen Begegnung war ich gerade mal auf der Highschool, während meine durchgeknallte große Schwester Gemma bereits kurz davor stand, von der Schule abzugehen. Wie es so ihre Art war, wollte sie die Highschool ein Semester früher abschließen, um möglichst schnell aufs College wechseln zu können, aber für den frühen Abschluss war ein Schulprojekt erforderlich, das sie sich alleine nicht zutraute. Auftritt Charlotte Davidson, Superschwester, Heilige und Projektmanagerin.
Allerdings nicht ohne zu klagen. Komischerweise konnte ich mich an unsere Unterhaltung erinnern, als wäre es gestern gewesen. In Wahrheit waren seit dieser schrecklichen und wunderbaren Nacht zwölf Jahre vergangen, einer Nacht, die ich im Leben nicht vergessen würde.
»Wenn du mich fragst«, nuschelte ich damals durch meinen um Mund und Nase gewickelten Schal,
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