Das Flüstern der Toten (German Edition)
dass ich besser vorsichtig vorging oder dass die fünfte Tasse Kaffee zu wirken begann.
»Mr Weir, ich will Ihnen ganz bestimmt keine unbegründeten Hoffnungen machen. Höchstwahrscheinlich ist es gar nichts, aber wenn doch, können wir es wahrscheinlich nicht beweisen. Verstehen Sie das?«
Er nickte. So eben.
»Um es kurz zu machen, der Mann hat Barber gesagt, dass Sie unschuldig sind.«
Kurz riss er die Augen auf, dann hatte er sich wieder gefangen.
»Er meinte, das Gericht habe den falschen Mann hinter Gitter gebracht und dass er das beweisen könne.«
Ungeachtet meiner Warnung sah ich einen Funken Hoffnung in Mr Weirs Augen glänzen. Ich sah jedoch auch, dass er ebenso wenig darauf setzen wollte wie ich. Wahrscheinlich war er unzählige Male enttäuscht worden. Ich hatte keine Ahnung, was es mit einem machte, wenn man für etwas, das man nicht getan hatte, im Gefängnis saß. Er hatte jedes Recht, den Glauben an den Rechtsstaat zu verlieren.
»Worauf warten Sie dann noch? Laden Sie ihn vor.«
Ich rieb mir die Stirn. »Leider ist auch er tot. Er wurde ebenfalls gestern ermordet.«
Nach einer Minute lastenden Schweigens stieß er seufzend den Atem aus und sackte auf seinem Platz zusammen, wobei er das Telefonkabel fast zum Zerreißen spannte. Ich sah, wie ihn die Enttäuschung überkam. »Und was heißt das jetzt?«, wollte er wissen. Er klang verbittert.
»Das weiß ich nicht genau. Wir machen uns selbst gerade erst ein Bild. Aber ich werde alles tun, um Ihnen zu helfen. Die Frage ist nur, was Ihnen meine Bemühungen bringen. Es ist immer schwer, die Aufhebung eines Urteils zu erwirken, da kann man in der Hand haben, was man will.«
Er wirkte abgelenkt, schien sich in Gedanken zu verlieren.
»Mr Weir? Was können Sie mir zu Ihrem Fall sagen?«
Es dauerte eine Weile, bis er zu mir zurückfand. Als es so weit war, fragte er: »Was wollen Sie denn wissen?«
»Na ja, ich bekomme in Kürze das Verhandlungsprotokoll, trotzdem würde ich Sie jetzt gerne nach dieser Frau fragen, Ihrer Nachbarin, die Sie bei der Entsorgung der Leiche des Jungen beobachtet haben will.«
»Ich habe den Jungen in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Und die Frau habe ich nur gesehen, wenn sie in ihrem Hinterhof mit den Sonnenblumen geschimpft hat. Die Alte ist völlig plemplem. Trotzdem hat man ihr Glauben geschenkt. Die Geschworenen haben jedes Wort von ihr gefressen, als hätte man es ihnen auf einem Silbertablett serviert.«
»Manchmal hören die Menschen, was sie hören wollen.«
»Manchmal?«, gab er zurück, als hätte ich gewaltig untertrieben. Hatte ich auch, aber ich gab mir alle Mühe, positiv zu denken.
»Haben Sie eine Ahnung, wie das Blut des Jungen an Ihre Schuhe kam?« Das war der springende Punkt. Der Mann war fraglos unschuldig, trotzdem war das Blut des Jungen an seinen Schuhen nachgewiesen worden. Das alleine reichte völlig aus, um alle zwölf Geschworenen gegen ihn einzunehmen.
»Das hat mir jemand untergeschoben. Ich meine, wie hätte es sonst dorthin kommen sollen?«, fragte er ebenso ratlos wie ich.
»Gut. Können Sie mir zusammenfassen, was sich zugetragen hat?«
Zum Glück hatte ich unterwegs bei Staples haltgemacht. Ich griff zu meinem neuen Notizblock, einem von der Sorte, die auch Garrett und Onkel Bob verwendeten. Schlicht. Unscheinbar. Bescheiden. Ich schrieb alles auf, was mir wichtig erschien.
»Moment mal«, unterbrach ich ihn an einer Stelle. »Die Dame hat ausgesagt, dass der Junge bei Ihnen wohnte?«
»Ja, aber sie hat ihn mit meinem Neffen verwechselt, der ungefähr einen Monat, bevor das alles geschah, bei mir gewohnt hat. Die Polizei glaubt jetzt, ihn hätte ich auch umgebracht.«
Ich blinzelte überrascht. »Ist er denn tot?«
»Nicht, dass ich wüsste. Aber er wird vermisst. Und die Polizei hat meiner Schwester eingeredet, dass ich etwas mit seinem Verschwinden zu tun habe.«
War das die Verbindung, nach der ich suchte? Ich hatte zwar keinen Schimmer, wie diese Verbindung aussah, aber ich hatte schon mit weniger angefangen.
»Wann ist er verschwunden?«
Er sah nach unten rechts, was bedeutete, dass er sich erinnerte, ohne sich etwas aus den Fingern zu saugen. Ein weiterer Hinweis auf seine Unschuld, den ich indes nicht benötigt hätte. »Teddy war etwa einen Monat bei mir. Seine Mutter hatte ihn vor die Tür gesetzt. Sie kamen nicht gut miteinander aus.«
»Ihre Schwester?«
»Ja. Dann hat sie ihn überredet, trotz ihrer ständigen Streitereien wieder bei ihr
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