Das Flüstern der Toten (German Edition)
rotblondes Haar und freundliche blaue Augen und sah aus wie eine Mischung aus Strandpenner und Universitätsprofessor. Eine Glasscheibe trennte uns, darin ein dünnes Drahtgeflecht, das für noch mehr Sicherheit sorgte. Natürlich fragte ich mich, wie man den Draht in die Scheibe und die Reihen so gleichmäßig bekam, aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, derlei Probleme zu wälzen. Ich hatte hier zu arbeiten, verdammt, und ich würde mich von keinem Drahtgeflecht ablenken lassen.
Mr Weir betrachtete mich neugierig von der anderen Seite – nicht von der anderen Seite, nur von der anderen Seite der Glasscheibe. Ich nahm den Hörer ab und fragte mich, wie viele Menschen diesen Hörer bereits benutzt hatten und wie sauber sie gewesen sein mochten.
»Hallo, Mr Weir. Mein Name ist Charlotte Davidson.« Seine Miene blieb ausdruckslos. Mein Name machte eindeutig keinen Eindruck auf ihn.
Ein anderer Insasse schlenderte herbei und setzte sich in die Nachbarkabine. Weir warf einen wachsamen Blick über die Schulter. Er beäugte seine Mitgefangenen bereits wie Todfeinde, war ständig auf der Hut, um sich jederzeit verteidigen zu können. Dieser Mann gehörte nicht in den Knast. Er hatte niemanden umgebracht. Ich nahm sein reines Gewissen so deutlich wahr wie die kriminelle Neigung des Mannes neben ihm.
»Ich komme mit schlechten Nachrichten.« Ich wartete, bis er sich mir wieder zuwandte. »Letzte Nacht wurden Ihre Anwälte ermordet.«
»Meine Anwälte?«, fragte er, als er endlich den Mund aufbekam. Dann begriff er, was ich gesagt hatte. Seine Augen weiteten sich vor Überraschung. »Was? Alle drei?«
»Ja, Sir. Es tut mir furchtbar leid.«
Er starrte mich an, als hätte ich gerade durchs Glas gelangt und ihm eine Ohrfeige verpasst. Er hatte offenkundig nicht mitbekommen, dass eine derartige Heldentat in Anbetracht des Drahtgeflechts und so weiter gar nicht möglich war. Nach einem langen Augenblick fragte er: »Was ist passiert?«
»Sie wurden erschossen. Wir nehmen an, dass ihr Tod mit Ihrem Fall zusammenhängt.«
Das haute ihn noch mehr um. »Sie wurden meinetwegen umgebracht?«
Ich schüttelte den Kopf. »Sie können nichts dafür, Mr Weir. Das wissen Sie doch, oder?« Als er darauf nichts sagte, fuhr ich fort: »Hat Sie jemand bedroht?«
Er schnaubte und deutete um sich auf seinen gegenwärtigen Aufenthaltsort. »Sie meinen abgesehen von den Drohungen, mit denen ich mich hier jeden Tag herumschlagen muss?«
Ein gutes Argument. Im Knast ging es nie entspannt zu. »Um ganz ehrlich zu sein«, sagte ich ehrlich. »Ich glaube eigentlich nicht, dass sich die Täter lange mit Drohungen aufhalten würden. Wenn man an die letzten vierundzwanzig Stunden denkt, scheinen sie lieber gleich zur Tat zu schreiten.«
»Aber wer bringt denn drei Rechtsanwälte um?«
»Halten Sie einfach die Augen auf, Mr Weir. Wir kümmern uns um den Rest.«
»Ich versuch’s. Das mit den Anwälten tut mir sehr leid«, sagte er, kratzte sich zuerst die Bartstoppeln, dann die Stirn.
Er war müde, erschöpft von dem Stress, für etwas eingebuchtet worden zu sein, das er nicht getan hatte. Ich bedauerte ihn mehr, als ich wollte.
»Ich konnte sie gut leiden«, sagte er. »Besonders diese Ellery.« Er ließ die Hand sinken und versuchte, sich nicht von seinen Gefühlen überwältigen zu lassen. »Sie sah wirklich gut aus.«
»Ja, sie war sehr schön.«
»Waren Sie mit ihr befreundet?«
»Nein, nein, aber ich habe Fotos von ihr gesehen.« Ich wusste nie genau, wie ich meine Verbindung zu den Verstorbenen erklären sollte. Ein unbedachtes Wort, und ich wäre auf Jahre heimgesucht.
»Und Sie sind hier, um mir zu sagen, dass ich auf mich aufpassen soll?«
»Ich bin Privatdetektivin und bearbeite den Fall zusammen mit der Polizei von Albuquerque.« Bei der Erwähnung des APD schienen sich ihm die Haare zu sträuben, was ich ihm kaum verdenken konnte. Gegen das APD ließ sich meinerseits jedoch nichts sagen. Schließlich wies alles auf ihn als Täter hin. »Wussten Sie von dem Informanten? Der an dem Tag, wo die drei ermordet wurden, mit Barber reden wollte?«
»Welcher Informant?«, fragte er kopfschüttelnd. »Was wollte er denn?«
Ich holte Luft und sah mir Mr Weir genau an, ehe ich antwortete. Ich musste mir erst darüber klar werden, wie viel ich ihm sagen wollte. Es war sein Fall. Wenn jemand verdiente, die Wahrheit zu erfahren, dann er. Trotzdem blinkte in meinem Kopf ein Warnhinweis: VORSICHTIG VORGEHEN! Was entweder bedeutete,
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