Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Flüstern der Toten (German Edition)

Das Flüstern der Toten (German Edition)

Titel: Das Flüstern der Toten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Darynda Jones
Vom Netzwerk:
ihrer Lebenszeit hinter Gittern zugebracht hatten?
    Der Beamte schien mein Unbehagen zu bemerken. »So schlimm ist es nicht«, meinte er und senkte mitfühlend die Stimme. »Er wird künstlich beatmet. Das ist wahrscheinlich das Schlimmste.«
    »Kennen Sie ihn persönlich?«
    »Ja, Ma’am. Ich habe um diese Aufgabe gebeten. Farrow hat mir mal während eines Gefängnisaufstands das Leben gerettet. Wenn es ihn nicht gegeben hätte, würde ich heute nicht vor Ihnen stehen. Das ist das Mindeste, was ich für ihn tun kann, wissen Sie?«
    Es schnürte mir die Kehle zu, und ich hätte ihn gerne mehr gefragt, doch plötzlich zog mich irgendwas in Reyes’ Krankenzimmer, als hätte die Schwerkraft an dieser einen Stelle gerade exponentiell zugenommen. Schließlich machte ich einen Schritt auf die Tür zu; der Beamte tippte noch mal an seinen unsichtbaren Hut und schlenderte in Richtung Kaffeemaschine davon.
    Als ich über die Schwelle trat, sah ich mich um, für den Fall, dass er als körperlose Erscheinung im Zimmer weilte. Ich war ein wenig enttäuscht, als ich ihn nirgends entdeckte.
    Dann schaute ich aufs Bett. Da lag er: Reyes Farrow, mit Haut und Haaren, die sich bronzefarben von den weißen Bettlaken abhoben. Wieder schlug die Schwerkraft zu, nur dass sie diesmal, als ich näher an das Bett herantrat, von ihm ausging, und zum zweiten Mal im Leben sah ich Vollkommenheit.
    In seiner Luftröhre steckte ein Beatmungsschlauch, sein Kopf verschwand fast unter einem Verband. Das zerzauste dichte, dunkle Haar fiel über den Verband tief in die Stirn. Das kräftige Kinn zierte ein Dreitagebart, seine langen, dichten Wimpern warfen Schatten auf seine Wangen. Dann fiel mein Blick auf seinen sinnlichen, wohlgeformten, unvergesslichen Mund.
    Das einzige Geräusch im Zimmer machte das Beatmungsgerät. Kein Herzmonitor piepste, obwohl einer angeschlossen worden war, dessen Linien und Ziffern beständig im Fluss blieben. Als ich vortrat, berührte ich mit der Hüfte seinen Arm, der neben seinem Körper auf dem Bett lag. Die Ärmel des hellblauen Klinikhemds waren kurz und gestatteten einen ausgiebigen Blick auf schlanke Muskeln, die selbst im Schlaf straff wirkten. Über seinen gebräunten Oberarmmuskel floss eine Tätowierung und unterstrich dessen Schönheit und Schwung. Stammeskunst mit eleganten Linien und sinnlichen Kurven, die etwas zu bedeuten hatten. Ich hatte so etwas schon mal gesehen. Sie waren uralt, alt wie die Zeit. Und wichtig. Aber warum?
    Mein Herz wollte nicht ohne Weiteres akzeptieren, dass der Mann, der da im Bett lag und mir verletzlich und kraftvoll zugleich erschien, wirklich Reyes Farrow war. Ich bekam weiche Knie und fragte mich, wie lange ich noch stehen konnte. Nach all der Zeit kam er mir unwirklicher vor als in meinen Träumen. Und schöner als in meiner Fantasie.
    Seine breite Brust hob und senkte sich im Takt der Maschine. Ich fuhr mit dem Finger über eine glühende Schulter. Ein kurzer Blick auf die am Fußende seines Bettes angebrachte Tafel verriet mir seine normale Körpertemperatur. Trotzdem spürte ich eine Hitze wie vor einem Schmelzofen.
    Noch im Schlaf wirkte er wild und unbeugsam, als wäre es unmöglich, ihn zu zähmen oder für längere Zeit einzusperren. Ich nahm seine glühende Hand und beugte mich über ihn.
    »Reyes Farrow«, sagte ich, und meine Stimme drohte zu brechen. »Bitte, wach auf!« Mir war egal, was der Staat sagte. Reyes war ebenso wenig tot wie ich. Wie konnte man in Erwägung ziehen, sein Leben vorzeitig zu beenden? »Wenn nicht, werden die Maschinen abgestellt. Kannst du mich hören? Uns bleiben noch drei Tage.«
    In der Hoffnung, dass er auf andere Weise in Erscheinung treten würde, sah ich mich suchend im Zimmer um. Ich wusste immer noch nicht, was er eigentlich war, auf jeden Fall aber mehr als ein Mensch. Daran hatte ich keinen Zweifel mehr. Ich musste seine Schwester finden. Ich musste ihn aus dieser Lage befreien.
    »Ich komme wieder«, flüsterte ich. Doch ehe ich ging, senkte ich den Kopf und drückte meinen Mund auf seinen. Der Kuss versengte mir die Lippen, doch ich verharrte so mehrere wundervolle Minuten lang und genoss es, seinen Mund zu spüren.
    Ich wollte mich aufrichten, den Kuss beenden, doch plötzlich wurde ich von Bildern überflutet. Ich erinnerte mich an unsere Nächte während des letzten Monats. Seine Hände, die meine Hüften packten, meine Beine, die ihn umschlangen, als hinge unser Leben davon ab, während er in mich eindrang und Wellen

Weitere Kostenlose Bücher