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Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition)

Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition)

Titel: Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Tremayne
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Gelegentlich gab er sich als Amerikaner mit irischen Vorfahren aus und nannte sich »Altamont«. Dies war der Name seines Familiensitzes in der Nähe von Ballysherlock.
    Mit diesem Wissen im Hinterkopf lauschte ich, ein Glas Cognac in der Hand, Holmes’ ungewöhnlicher und zutiefst erschreckender Geschichte. Ich habe sie im folgenden möglichst wortgetreu wiedergegeben.
     
    Nach meinem ersten Semester in Oxford fuhr ich nach Dublin, um die Semesterferien bei meinem Bruder Mycroft in seinem Haus am Merrion Square zu verbringen. Da es in der Finanzabteilung des Staatssekretärs, wo mein Bruder tätig war, unerwartete Probleme gab, konnte er nicht, wie ursprünglich geplant, mit mir zum Angeln fahren. Ich ließ mich von Abraham Stoker, einem Freund und Kollegen meines Bruders, der mit ihm zusammen am Trinity College war, überreden, ihn ins Theater zu begleiten. Zu Abrahams, oder Brams – wie er sich gern nennen ließ – engen Freunden zählten auch Sir William und Lady Wilde, die in unmittelbarer Nachbarschaft wohnten und mit deren jüngerem Sohn Oscar ich in Oxford studierte.
    Bram war ein ehrgeiziger Mensch, der nicht nur in Dublin Castle arbeitete, sondern nebenbei Theaterkritiken schrieb und seit kurzem Herausgeber der »Dublin Halfpenny Press« war. Er wollte, dass ich einen Beitrag über die damals berühmten Dubliner Serienmorde schreibe, aber ich lehnte dankend ab, da er nicht bereit war, mir ein Honorar zu zahlen.
    Bram war ein freundlicher Riese mit feuerrotem Haar. Wir standen im Foyer des Royal-Theaters. Über die Köpfe der übrigen Anwesenden hinweg sah er einen Bekannten und winkte ihn herbei. Ein blasser, dünner junger Mann, ungefähr in meinem Alter, trat aus der Menge und wurde mit einem herzlichen Händedruck begrüßt. Er hieß Jack Phillimore. Ich kannte ihn gut, da wir gemeinsam am Trinity College studiert hatten. Mein Herz tat einen Sprung, und ich schaute mich suchend in der Menschenmenge um. Phillimore war aber, wie es schien, allein gekommen. Seine Schwester Agnes war nirgendwo zu sehen.
    In Brams Gegenwart tauschten Jack und ich Gemeinplätze aus, unterhielten uns über das Studium, aber ich merkte, dass Jack in Gedanken ganz woanders war. Mir ging es genauso: Ich konnte es kaum erwarten, mich nach Agnes zu erkundigen. Ach, Watson, die Wahrheit soll einmal ans Licht kommen, aber erst, nachdem ich diese Welt verlassen habe. Die Liebe, mein Freund, die Liebe! Es ist dir sicher nicht entgangen, dass mir alle menschlichen Regungen zutiefst suspekt sind, insbesondere aber diese. Mit zunehmender Reife habe ich erkannt, dass sie die klare Vernunft, die ich über alles stelle, allzu schnell beeinträchtigt. Um mir meine sachlich-distanzierte Haltung zu wahren, habe ich darauf verzichtet, zu heiraten. Doch es gab eine Zeit, da ich andere Wünsche und Ziele hatte. Und genau das führte dazu, dass ich versagt habe und die schreckliche Tragödie, von der ich dir berichten will, sich ereignen konnte. Ach, wenn … Aber wie heißt es doch so treffend? ›Wenn das Wörtchen wenn nicht wär‹!
    Kurz und gut: Als junger Mensch war ich bis über beide Ohren in Agnes Phillimore verliebt. Sie war ein Jahr älter als ich. Während unseres ersten Jahres am Trinity College begleitete ich Jack oft in das Haus seiner Eltern am Stephen’s Green. Ich muss gestehen, es geschah weniger, um Jacks Gesellschaft zu genießen, als um Agnes zu sehen.
    Als ich älter wurde, lernte ich Irene Adler, die ich deinen Angaben zufolge nur
» das
Weib« nenne, kennen und verehren, aber die Hochachtung, die ich für sie empfinde, hat nichts gemein mit jenem tiefen, alles verzehrenden Gefühl, das wir als Liebe bezeichnen.
    Als Bram am anderen Ende des Foyers jemanden sah, den er kannte, und uns verließ, um ihn zu begrüßen, nutzte Phillimore die Gelegenheit, um mich nach meinen Plänen für die Ferien zu fragen. Als ich ihm sagte, dass ich nichts weiter vorhätte, lud er mich ein, ihn für ein paar Tage auf den Landsitz seines Vaters, Colonel James Phillimore, in der Grafschaft Kerry zu begleiten. Phillimore erklärte, er wolle seinen Vater besuchen, um ihm zu seinem fünfzigsten Geburtstag zu gratulieren. Ich weiß noch, dass ich es seltsam fand, wie er diesen Umstand besonders betonte.
    So beiläufig wie möglich erkundigte ich mich, ob sich seine Schwester Agnes in Dublin oder in Kerry aufhalte. Wie die meisten Brüder konnte sich Phillimore nicht vorstellen, dass es Männer gab, die sich für ihre Schwester interessierten,

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