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Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition)

Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition)

Titel: Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Tremayne
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deshalb antwortete er nachlässig: »Bestimmt ist sie in Tullyfane, Holmes. Sie muss sich doch auf ihre Hochzeit vorbereiten. In vier Wochen ist es soweit.«
    Da er einen Mann beobachtete, der sich ruppig durch die Menge drängte, versäumte er die Wirkung, die diese Auskunft bei mir erzeugte.
    »Hochzeit?«, stammelte ich. »Mit wem?«
    »Stell dir vor, mit einem Professor. Moriarty heißt der Bursche.«
    Ich wusste, dass der Name in der Grafschaft Kerry häufig vorkam, als anglisierte Version des irischen Familiennamens Ó Muircheartaigh, was soviel bedeutet wie ›hervorragender Seefahrer‹.
    »Er ist unser Nachbar und völlig vernarrt in meine Schwester. Sie wollen, wie gesagt, in einem Monat heiraten. Ein sonderbarer Kauz, dieser Professor. Er ist sehr gebildet und hat einen Lehrstuhl für Mathematik an der Queen’s Universität in Belfast inne.«
    »Professor James Moriarty also«, stieß ich wütend hervor. Die Nachricht von Agnes’ geplanter Hochzeit hatte all meine Hoffnungen zunichtegemacht.
    »Kennst du ihn?«, fragte Phillimore besorgt. »Er ist doch ganz in Ordnung, nicht wahr? Kein Schürzenjäger oder dergleichen?«
    »Ich habe ihn erst einmal gesehen«, erwiderte ich wahrheitsgemäß. »Er saß an einem Nebentisch im Kildare Street Club.« Zu jener Zeit wusste ich noch nichts Negatives über Moriarty zu berichten. »Mein Bruder sagte mir, wer er ist, aber er wurde mir nicht vorgestellt. Ich weiß nur, dass sein Werk, ›Die Dynamik eines Asteroiden‹, sich in so ungeahnte Höhen der reinen Mathematik aufschwang, dass keiner in der naturwissenschaftlichen Presse bis jetzt in der Lage war, es zu besprechen.«
    Phillimore lachte. »Von solchen Dingen verstehe ich nichts. Gott sei Dank studiere ich Theologie und nicht Mathematik. Aber du scheinst ihn ja sehr zu bewundern.«
    »Ich bewundere Genialität«, entgegnete ich schlicht.
    Mir fiel ein, dass Moriarty mindestens zehn Jahre älter als Agnes sein musste. Was sind in unserem heutigen Alter schon zehn Jahre? Aber damals, als unerfahrener Jüngling, empfand ich diesen Altersunterschied als geradezu unschicklich. Das erwähne ich nur, weil diese Einstellung den weiteren Verlauf der Ereignisse beeinflussen sollte.
    Ohne zu ahnen, in welch ein emotionales Chaos er mich gestürzt hatte, beharrte Phillimore: »Komm doch mit nach Tullyfane Abbey!«
    Ich war soeben im Begriff abzulehnen, als sich Phillimore plötzlich vorbeugte, um ernst und beschwörend auf mich einzureden: »Es ist nämlich so, alter Junge, dass wir Ärger mit unserem Schlossgespenst haben. Ich weiß noch von früher, dass du knifflige Probleme lösen kannst wie kein Zweiter!«
    »Mit eurem Schlossgespenst?«
    »Ja, dieser verteufelte, niederträchtige Geist bringt meinen Vater noch um den Verstand, von der armen Agnes ganz zu schweigen …«
    »Willst du etwa sagen, dein Vater und Agnes fürchten sich vor einem Geist?«
    »Nun, Agnes ist besorgt, weil unser Vater in einer zunehmend schlechten Verfassung ist. In ihren Briefen schildert sie derart bizarre Vorkommnisse, dass ich mich allmählich frage, ob sie unter Wahnvorstellungen leidet oder ob mein Vater bereits komplett den Verstand verloren hat.«
    Um zu vermeiden, alte Wunden aufzureißen, sollte ich Agnes lieber aus dem Weg gehen, dachte ich. Ich könnte die verbleibenden Ferien damit verbringen, in Marsh’s Library mittelalterliche Schriften zu entziffern. Sie hatten dort eine eindrucksvolle Sammlung. Ich zögerte kurz – und erlag wider besseren Wissens der Versuchung. Trotz meiner Trauer wegen Agnes war meine Neugierde geweckt, denn jedes Geheimnis, das es zu lüften galt, brachte mein Blut in Wallung.
    Am nächsten Morgen fuhr ich mit Jack Phillimore zum Bahnhof Kingsbridge, wo wir in den Zug nach Killarney stiegen. Unterwegs erläuterte er mir das Problem: Über Tullyfane Abbey lag angeblich ein alter Fluch. Das Schloss befand sich am äußersten Ende der Iveragh-Halbinsel an einem wilden und abgelegenen Ort. Trotz des Namens war Tullyfane Abbey nie eine Abtei gewesen, sondern von Anfang an ein Landhaus im georgianischen Stil. Im achtzehnten Jahrhundert war es unter weniger gut betuchten anglo-irischen Adligen üblich, ihre eher bescheidenen Behausungen »Abbey« oder »Castle« zu nennen.
    Phillimore erklärte mir, dass bereits seit sieben Generationen der jeweils Erstgeborene der Familie Tullyfane an seinem fünfzigsten Geburtstag auf grausige Weise den Tod fand. Der erste Lord Tullyfane hatte, so hieß es, einen

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