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Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition)

Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition)

Titel: Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Tremayne
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ließ Colonel Phillimore sein Besteck scheppernd auf den Teller fallen und stöhnte verzweifelt auf.
    In der Stille, die nun folgte, hörte ich es deutlich: das Weinen eines Kindes. Die kläglichen Laute schienen durch die Räume zu hallen. Sogar Jack sah erschrocken aus. Ich stieß meinen Stuhl zurück und sprang auf, um zu erkunden, aus welcher Richtung das Weinen kam.
    »Was liegt unter dem Speisezimmer?«, fragte ich den Colonel. Er wandte mir sein kreidebleiches Gesicht zu, war aber nicht in der Lage, zu antworten.
    Jack Phillimore stammelte: »Der Keller, Holmes.«
    »Komm mit.« Ich nahm den Leuchter vom Tisch und schritt entschlossen voran. Als ich den Raum verlassen wollte, rief Agnes: »Also wirklich, Mr. Holmes! Sie wollen sich doch nicht allen Ernstes mit einem Geist anlegen?«
    Ich drehte mich um und lächelte ihr zu. »Ich glaube kaum, dass ich einem Geist begegnen werde, Miss Phillimore«, entgegnete ich.
    Jack Phillimore zeigte mir den Keller. Wir durchsuchten ihn gründlich, konnten aber nichts Ungewöhnliches entdecken.
    »Was hast du denn überhaupt gesucht?«, fragte Jack, als er meine enttäuschte Miene sah.
    »Gewiss keinen Geist. Eher einen kleinen Jungen aus Fleisch und Blut«, sagte ich.
    Zurück im Speisezimmer, machte Agnes keinen Hehl aus ihrer Genugtuung. »Sie können sich wohl denken, dass ich das Haus wieder und wieder auf den Kopf stellen ließ, vergebens! Mein Vater ist am Rande des Wahnsinns. Ich habe Angst, er könnte sich etwas antun.«
    »Und übermorgen wird er fünfzig«, fügte Phillimore traurig hinzu.
    Es klingelte an der Tür. Malone, der alte Butler, schlurfte herbei, um zu öffnen. Wenig später kündigte er an: »Professor Moriarty.«
    Moriarty war groß und dünn, hatte eine hohe, gewölbte Stirn und tiefliegende Augen. Er hatte die merkwürdige Angewohnheit, den Kopf langsam hin- und her zu bewegen. Harsch in meinem Urteil, wie junge Menschen nun einmal sind, verglich ich ihn in Gedanken mit einem Reptil. Rückblickend muss ich einräumen, dass er auf seine Art eine stattliche und distinguierte Erscheinung war. Für einen Professor wirkte er recht jung, und man sah ihm an, dass er hochintelligent und scharfsinnig war.
    Agnes empfing ihn herzlich, Phillimore eher zurückhaltend. Ich selbst musste mich beherrschen, um mir meinen Groll nicht anmerken zu lassen.
    Er war gekommen, um bei Kaffee und Brandy beschwichtigend auf den Colonel einzuwirken. »Mein Angebot steht, Sir«, sagte er. »Ich würde Ihnen raten, sich des Hauses und somit des Fluchs zu entledigen. Tullyfane wäre ja schließlich nicht für Sie verloren; wenn Agnes und ich verheiratet sind, können Sie uns jederzeit besuchen.«
    Daraufhin gab Colonel Phillimore zu meinem Erstaunen einen Laut von sich, der sich nur als ein Knurren beschreiben lässt, der kehlige, drohende Laut eines Tieres, das sich in die Enge getrieben fühlt. »Ich werde das Feld nicht räumen«, erklärte er. »Akbar Khan und seinen blutrünstigen afghanischen Horden ist es nicht gelungen, mich und meine Kameraden aus unserer Festung am Peiwar-Kotal-Pass zu verscheuchen. Soll ich mich jetzt etwa von einem Gespenst verschrecken lassen? O, nein, mein Herr, ich werde hier die Stellung halten und meinen fünfzigsten Geburtstag feiern!«
    »Du solltest dir James’ großzügiges Angebot zumindest durch den Kopf gehen lassen, Vater«, sagte Agnes vorwurfsvoll. »Die ganze Aufregung greift deine Nerven an. Es wäre besser, das Anwesen zu verkaufen und ganz nach Dublin umzusiedeln.«
    »Unsinn!«, blaffte ihr Vater. »Kein Wort mehr davon! Ich bleibe hier, Ende der Diskussion!«
    An diesem Abend gingen wir alle früh schlafen. Ich muss allerdings zugeben, dass ich, bevor ich endlich einnickte, mir noch eine Weile den Kopf über Agnes zerbrach.
    Ich wurde davon wach, dass ich erneut das Weinen vernahm. Es hörte sich an wie das Klagen einer Banshee, einer Todesfee. Ich sprang aus dem Bett, zog mir den Morgenmantel über und eilte zum Fenster. Das Licht des bleichen Vollmondes leuchtete mir den Weg.
    Das Weinen schien aus einem der oberen Stockwerke zu kommen. Als ich aus dem Zimmer stürzte, traf ich auf dem Gang James Phillimore. Er trug wie ich einen Morgenmantel; sein Gesicht war kreidebleich.
    »Sag mir, dass ich träume, Holmes!«, stammelte er.
    »Wohl kaum. Es sei denn, wir sind im selben Traum gefangen. Besitzt du einen Revolver?«
    »Was willst du mit einer Waffe?«, fragte er verwundert.
    »Gespenstern, Dämonen und anderen

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