Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition)
über Cothromanachs Züge. »Diesen Umstand hatte ich keineswegs übersehen. Ebensowenig wie die Tatsache, dass Ihr hier nicht der einzige seid, der etwas zu gewinnen hätte.«
»Wer denn noch?«, fragte MacBeth irritiert.
»Lady Gruoch würde profitieren, wenn Ihr zum Großkönig gewählt würdet.«
Für einen kurzen Augenblick wirkte MacBeth zornig. Dann aber zuckte er resigniert die Achseln. »Mehr noch, als hätte ihr Bruder den Thron bestiegen?«
»Aber selbstverständlich, weitaus mehr. Doch dieser Mord war wohl kaum die Tat einer Frau.«
»Darin stimme ich Euch zu«, antwortete MacBeth mit Nachdruck.
Die Tür ging auf, und Garban trat ein. »Segan lässt von meiner Frau seine Wunde behandeln. Gibt es etwas, womit ich Euch dienen kann?«
»Bringt die Kammerfrau Margreg zu mir.«
Als er gehen wollte, hob der Brehon die Hand, um ihn aufzuhalten. »Ihr habt Prinz Malcom gut gekannt, nicht wahr?«
Garban blinzelte verwirrt. »Jawohl, Herr, das weiß doch hier jeder. Ehe ich in den Dienst meines Herrn MacBeth trat, war ich Kämmerer im Hause Bodhe. Ich war es, der dem jungen Prinzen seine ersten Reitstunden gab. Sein Tod schmerzt mich zutiefst.«
»In der Tat.« Der Brehon seufzte und entließ den Oberkämmerer mit einer Handbewegung. Nachdem er sich entfernt hatte, sagte MacBeth: »Die Kammerfrau soll Euch mit ihren eigenen Worten erzählen, dass wir zur Tatzeit in unseren Betten lagen. Dann werdet Ihr in der Lage sein, alle bösartigen Gerüchte, die man über uns verbreitet, im Keim zu ersticken.«
»Ihr seid diesbezüglich recht empfindlich«, bemerkte der Brehon.
»Ich kenne eben meinen Großvater, den König von Sgàin, nur zu gut. Dasselbe gilt für meinen Cousin Duncan Mac Crinan.«
Margreg war kaum siebzehn Jahre alt, ein reizvolles Mädchen mit dunklem Haar und hellem Teint. Sie war sich ihrer Wirkung offenbar bewusst. Es lag etwas Forsches in ihrem Auftreten, das man ihr durchaus als Koketterie hätte auslegen können.
Nachdem sie eingetreten war und vor MacBeth einen Knicks angedeutet hatte, war sie im Begriff, den alten Brehon zu begrüßen, als ihr Blick auf die Leiche am Boden fiel. Sie kräuselte angeekelt die Nase, wandte aber den Blick nicht ab.
»Der Brehon will dir einige Fragen stellen«, erklärte MacBeth und trat beiseite.
»Du bist Lady Gruochs Kammerfrau?«, fragte Cothromanach.
»Das wißt Ihr doch genau«, erwiderte das Mädchen keck. »Ihr kennt Euch hier im Schloss ebensogut aus wie ich.«
Cothromanach unterdrückte einen Seufzer der Ungeduld. »Es handelt sich um eine offizielle Untersuchung, mein Kind. Beantworte meine Fragen und verschone mich mit deinen überflüssigen Kommentaren.«
»Jawohl, ich bin Lady Gruochs Kammerfrau«, sagte das Mädchen schmollend.
»Seit wann?«
»Seit sie und ihr Baby vor einem Jahr hier im Schloss Zuflucht fanden.«
»Warst du gestern abend bei deiner Herrin?«
»Ja, das war ich. Lulàch, das Kind, und ich schlafen im Ankleideraum neben dem Schlafgemach der Eheleute. Nach dem Bankett half ich Mylady beim Auskleiden.«
»Du schläfst also im Nebenzimmer. Bist du heute Nacht einmal wach gewesen?«
»Ja, ich bin aufgewacht, als der Junge anfing zu husten. Er ist ein braves Kind, aber nachts hustet er häufig. Also stand ich auf und beruhigte ihn. Gerade, als ich mich wieder hinlegen wollte, vernahm ich Schritte draußen im Flur und hörte, wie eine Tür geöffnet wurde. Aus Neugier schlich ich mich an die Zimmertür und spähte durch den Spalt.«
MacBeth drehte sich mit finsterer Miene um. »Wie spät war es da?«, fragte er.
Das Mädchen zuckte mit den Schultern. »Ich hatte keine Möglichkeit, das festzustellen, gnädiger Herr. Es war kalt und dunkel, die Glut im Kamin war erloschen. Ich versuche immer«, erklärte sie Cothromanach, »nachts ein Feuer in Gang zu halten. Die Wärme tut dem armen Kleinen gut. Sie lindert seinen Husten.«
»Du bist also zur Tür gegangen und hast hinausgeschaut«, bemerkte MacBeth. »Was hast du gesehen?«
»Ich sah Lady Gruoch den Flur entlanggehen. Sie hatte etwas in der Hand.«
»Wie hast du sie erkannt?«, fragte der Brehon. »Hatte sie eine Kerze in der Hand?«
»Nein, aber die Fackeln im Flur brennen die ganze Nacht.«
»Wann kam sie zurück?«, erkundigte sich Cothromanach.
»Ich weiß es nicht. Nachdem ich gesehen hatte, dass es sich bei der Person im Flur um Mylady handelte, bin ich wieder zu Bett gegangen. Es war wie gesagt sehr kalt. Ich bin gleich wieder eingeschlafen.«
»Und
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