Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition)
dienen, wie auch ihren Mitmenschen!«
Hardy Drew beäugte ihn missmutig, ehe er seinen Blick schweifen ließ. »Sind die Schauspieler alle versammelt?«, erkundigte er sich.
»Nein, noch nicht.«
»Wer hält sich derzeit im Theater auf?«
Jasper musterte ihn argwöhnisch.«Richard Burbage ist auf der Bühne«, entgegnete er.
Der Konstabler durchquerte den kreisförmigen Innenhof und erklomm die Holzstufen zur Bühne. Der alte Portier schaute ihm besorgt hinterher.
Auf der Bühne kniete ein Mann mittleren Alters. Er schien etwas auszumessen.
Drew räusperte sich, um seine Anwesenheit kundzutun.
Trotz unverkennbarer Spuren einer zurückliegenden Pockenerkrankung war Richard Burbage ein gutaussehender Mann. Er blickte nur kurz von seiner Arbeit auf, runzelte die Stirn und fragte: »Wer bist du, Schelm?«
Drew verzog säuerlich die Lippen, mußte dann aber doch schmunzeln.
»Ich bin gewiss kein Schelm«, entgegnete er. »Aber womöglich bin ich der Geist des Wachtmeisters Holzapfel, der gekommen ist, um seine Ehre zu retten.«
Burbage hielt inne und unterzog seinen Gast einer genaueren Betrachtung.
»Seid Ihr Schauspieler, Herr?«
»Nein, das bin ich nicht«, erwiderte Drew. »Gott sei’s gedankt.«
»Und doch seid Ihr mit dem Namen Holzapfel vertraut?«
»Ich habe mir das eine oder andere Stück angesehen, mein Herr. Es hat mich gekränkt, dass die Konstabler in Shakespeares Machwerk derart pompös und lächerlich dargestellt wurden. ›Viel Lärm um nichts‹ heißt das Stück, und einen passenderen Titel kann ich mir kaum vorstellen, Herr Burbage.«
Richard Burbage erhob sich und strich sich den Staub von den Kleidern.
»Seid Ihr also Theaterkritiker?«
»Nein. Dennoch nehme ich Anstoß an der Darstellung der Konstabler und der Wache unserer schönen Stadt.«
»Wie das, Herr?«
»Ich erlaube mir ein Urteil, weil ich selbst Konstabler bin, Konstabler der Bankside-Wache, genauer gesagt. Dies ist mein Revier.«
»Wollt Ihr mich etwa verhaften, weil ich die Wache diffamiert habe?«, fragte Burbage steif.
Drew lachte gutmütig. »Meiner Treu, es gibt im ganzen Land nicht genug Gefängnisse, um alle einzusperren, die sich über den Konstabler und seine Wache lustig machen.«
»Was kann ich dann …?«
»Ich suche einen gewissen Tom Hawkins.«
Burbage stöhnte auf. »Was hat er denn angestellt? Er soll in etwa einer Stunde auf der Bühne stehen, und es gibt für ihn keine geeignete Zweitbesetzung. Sagt mir jetzt bitte nicht, dass Ihr ihn verhaften wollt! Weshalb nur?«
»Ich will niemanden verhaften … Zumindest vorläufig nicht. Wo finde ich Hawkins?«
»Er ist noch nicht da.«
Drew schaute sich um. In den Ecken standen Schauspieler und übten ihren Text.
»Welches Stück wird geprobt?«, fragte er interessiert.
»Will Shakespeares ›König Heinrich VIII.‹.«
»Aha. Das ist mir noch nicht bekannt.«
»Dann seid Ihr herzlich eingeladen, es Euch anzuschauen…«
»Spielt Hawkins mit?«
»Jawohl, er spielt den Kardinal Campejus, keine tragende Rolle. Er muss nur dann und wann ein paar Zeilen sprechen.«
Der betagte, sorgenvolle Portier trat an Burbage heran.
»Herr Burbage, diese Narren haben uns doch tatsächlich kein Schießpulver geliefert! Was soll ich jetzt machen?«
Nachdem Burbage bei Gott und allem, was ihm heilig war, geschworen hatte, dass er nur von unfähigen Nichtsnutzen und Tagedieben umgeben sei, sagte er: »Auf der anderen Straßenseite ist doch eine Waffenschmiede. Nimm einen Eimer, geh hinüber und bitte Meister Glyn, ihn mit Schießpulver zu füllen. Du kannst ihm ausrichten, dass ich ihm nach der Vorstellung das Geld bringen werde.«
Der alte Mann eilte davon.
»Schießpulver?«, fragte Drew missbilligend. »Welche Rolle spielt Schießpulver in Eurem Stück?«
Burbage wies auf eine der hinteren Logen. »Auf den Rängen im zweiten Stock haben wir in einer Loge eine kleine Kanone aufgestellt. In dieser Loge werden natürlich keine Zuschauer sitzen.«
»Und was gedenkt Ihr mit der Kanone anzustellen? Wollt Ihr Eure Darsteller ins Jenseits befördern?«, fragte Drew mit ironischer Miene.
»Keineswegs, keineswegs! In der vierten Szene des zweiten Akts gibt es einen großen Auftritt. Der König betritt mit seinem Gefolge die Bühne, mit all den Prinzen, Kavalieren und Kardinälen. Shakespeare verlangt einen Trompetenstoß mit Zinken und Hörnern. Ich habe vor, das eindrucksvolle Spektakel zu unterstreichen, indem ich eine Salutsalve abfeuern lasse. Natürlich ohne
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