Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition)
und den Antwortrufen der Matrosen lauschte, die von fern zu ihm drangen.
Es vergingen nur wenige Minuten, ehe es an der Tür klopfte. Es war der junge Hart. Er wirkte ausgesprochen zufrieden und brannte offenbar darauf, dem Kapitän etwas Wichtiges mitzuteilen.
»Kommen Sie herein, Mr. Hart«, sagte Roscarrock. »Nach Ihrem Gesichtsausdruck zu urteilen, haben Sie den Fall bereits gelöst.«
»Das nicht, aber ich glaube der Lösung ein gutes Stück näher zu sein.«
Roscarrock hob skeptisch die Brauen. Dann lehnte er sich so weit zurück, wie es sein Stuhl gestattete, und forderte den jungen Mann auf, seine Schlussfolgerungen darzulegen.
»Es ist so, wie ich es mir von Anfang an gedacht habe, Sir. Leutnant Jardine wurde vorsätzlich getötet. Einer der Offiziere, der wusste, dass heute eine Schießübung stattfinden sollte, schlich sich in der Nacht auf das Batteriedeck und beschädigte die Seile, mit der die Kanone Nummer sechs gesichert war. Bevor aber die geplante Übung stattfinden konnte, kam es zu einem wirklichen Gefecht mit dem Franzosen. Das Ergebnis war natürlich dasselbe. Der Leutnant wurde durch den Rückschlag des Geschützes getötet.«
»So weit waren wir vorhin schon. Sie sollten doch erst wieder Meldung machen, wenn Sie Beweise für Ihre Theorie gesammelt haben. Wie steht es damit?«
Hart grinste breit. »Da Sie mich ermächtigt haben, der Sache nachzugehen, war ich so frei, Leutnant Jardines Kajüte zu durchsuchen.«
»Sie haben seine persönlichen Habseligkeiten durchwühlt?«
»Jawohl, Sir, und ich habe etwas gefunden, das mir hilft, meine Theorie zu untermauern und den glaubhaften Beweis für die Schuld eines Offiziers an dem Tod Leutnant Jardines zu erbringen.«
Roscarrock beugte sich mit einer schnellen Bewegung vor. »Wie das?«, wollte er wissen.
»Es ist allgemein bekannt, dass Leutnant Jardine ein Frauenheld war und zahlreiche Affären hatte.«
Roscarrock legte die Hände auf die Tischplatte, Handflächen nach oben. »Weiter«, sagte er nur.
»Nun, in seinem Spind entdeckte ich mehrere Briefe. Sie wurden alle von derselben Frau geschrieben. Bei den Briefen befand sich auch das Miniaturporträt einer sehr attraktiven jungen Dame.«
»Und?«
»Die Briefe sind allesamt unterzeichnet mit ›Deine Dich liebende P.‹. Einer davon trägt das Datum, an dem wir aus Chatham ausliefen. Darin schreibt die Dame, dass sie sich um Jardines Sicherheit sorgt, da er ihrer Meinung nach an Bord der ›Deerhound‹ in Gefahr schwebt, weil ihr Gatte von der Affäre weiß und ihm nun nach dem Leben trachtet. Sie fleht ihn an, unter dem erstbesten Vorwand das Schiff zu verlassen. Dann folgen romantische Zeilen, in denen sie ihm anträgt, mit ihr gemeinsam in die Fremde zu fliehen.«
Roscarrock legte nachdenklich den Finger an den Nasenrücken. »Die Briefe sind mit dem Buchstaben ›P‹ signiert, sagen Sie? Ich glaube, das bringt uns nicht weiter. Mir fallen auf Anhieb drei Offiziersfrauen ein, deren Namen mit dem Buchstaben ›P‹ anfangen. Hope ist mit einer jungen Dame namens Penelope verheiratet. Die Gattin des Ersten Offiziers heißt Peggy und Leutnant Unsteads Frau Phoebe …« Roscarrock brach ab, als wäre ihm plötzlich ein Gedanke gekommen.
Hart nickte eifrig. »Ja, Leutnant Unstead wollte sich in Chatham mit Jardine duellieren, aber das wurde vom Marineprofos verhindert. Ursache war, dass Leutnant Jardine Leutnant Unsteads Gattin beleidigt hatte. Wie Sie sagen, ihr Name ist Phoebe.«
Roscarrock verharrte mit gesenktem Kopf, als wollte er sich nicht eingestehen, dass an Harts Mutmaßungen etwas dran sein könnte. »Es ist und bleibt eine Theorie«, sagte er. »Wo sind Ihre Beweise?«
»Die Miniatur ist der Beweis, Sir.«
»Soweit mir bekannt ist, hat keiner der Offiziere außer Jardine Unsteads Gattin je zu Gesicht bekommen. Woher wollen wir also wissen, wie sie aussieht?«
»Dann muss die Sache eben warten, bis wir wieder in Chatham sind und das Portrait mit den Zügen der drei Damen vergleichen können, deren Namen mit dem Buchstaben ›P‹ anfangen. Ich würde aber jede Wette eingehen, dass Leutnant Unstead unser Täter ist.«
Der Kapitän betrachtete den jungen Mann mit ernster Miene. »Gute Arbeit, Mr. Hart«, sagte er. »Sie dürfen jedoch niemandem verraten, dass Sie den Fall gelöst haben, sonst ist Ihr Leben hier an Bord weniger wert als das eines Kornkäfers in einem Stück Schiffszwieback! Haben Sie die Briefe und die Miniatur dabei?«
Hart zog aus seiner
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