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Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition)

Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition)

Titel: Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Tremayne
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Fisch im Wasser, aber mein Geschmack war das nicht. Ich durfte dieses Heiligtum der Elite nur als Gast meines Bruders besuchen, der als Vertrauter des Staatssekretärs betrachtet wurde und von dem man deshalb annahm, er hätte unmittelbaren Zugang zum Vizekönig selbst. Mycroft hatte mich eingeladen, um mein Stipendium zu feiern und mich in aller Form zu verabschieden, wie es sich unter Brüdern gehört. Ich wollte ihn nicht enttäuschen.
    Der Speisesaal des Kildare Street Club war wirklich luxuriös ausgestattet, und es hieß, die Küche sei die Beste von ganz Dublin.
    Ein Kellner, dessen ernste Miene einem Bestattungsunternehmer gut zu Gesicht gestanden hätte, führte uns durch den vornehmen Speisesaal zu einem Tisch im Erker mit Blick auf den Park St. Stephen’s Green. Der Klub befand sich in einem Eckhaus an der Kreuzung Kildare Street und St. Stephen’s Green.
    »Wünschen die Herren einen Aperitif?«, fragte der Kellner mit Grabesstimme.
    Mycroft nutzte die Gelegenheit, um mich darüber in Kenntnis zu setzen, dass der Weinkeller bestens bestückt sei, insbesondere, was die Auswahl an Champagner betraf. Ich beschloss, den Abend mit einem Glas Sherry zu beginnen, und wählte den Palo Cortaldo, während Mycroft eine halbe Flasche Diamant Bleu bestellte. Er ließ es sich nicht nehmen, ein Dutzend Austern zu ordern, die einen Shilling kosteten, wie ich mitbekam. Offenbar besaß der Klub eine eigene Austernbank unweit von Galway, von wo sie täglich geliefert wurden. Ich entschied mich für die Gänseleberpastete, und als Hauptgang einigten wir uns auf Rindersteak, zusammen mit einer Flasche roten Bordeaux, einem Château MacCarthy St. Estèphe.
    Um die Wahrheit zu sagen: Mycroft war eher ein Gourmand als ein Gourmet. Er bewegte sich nicht gern, und seine hochgewachsene Gestalt zeigte schon damals leichte Fettansätze. Aber er hatte die typischen Familienmerkmale: die hohe Stirn, die tiefliegenden, stahlgrauen Augen und den schmalen, entschlossenen Mund. Er war außerordentlich intelligent und als Schachspieler unschlagbar.
    Nachdem wir Speisen und Getränke gewählt hatten, gönnte ich mir die Muße, die übrigen Gäste genauer in Augenschein zu nehmen.
    Unten denen, die mir sofort auffielen, befand sich ein dunkelhaariger Herr Mitte dreißig, der in seiner Jugend zweifellos sehr ansehnlich gewesen war. Seine Züge waren jedoch schwammig geworden und ließen ihn irgendwie liederlich und verkommen wirken, obgleich er die Haltung eines Offiziers hatte. Er saß nachlässig zurückgelehnt an seinem Tisch und trank Wein – mehr als ihm guttat, wie mir schien. Die Denkerstirn stand im krassen Gegensatz zum energischen Unterkiefer, die stechenden blauen Augen mit den hängenden Lidern blickten kalt und zynisch. Selbst in dieser entspannten Haltung ging von ihm etwas Aggressives aus. Er war tadellos gekleidet in einem eleganten schwarzen Jackett und einem Binder mit einer Diamantnadel, die von extravagantem Geschmack zeugte.
    Sein Begleiter schien dem Wein weniger zugetan; jedenfalls hatte er Kaffee bestellt. Er war groß und schlank, mit einer hohen, gewölbten Stirn und tiefliegenden Augen. Meinem Eindruck nach war er ein paar Jahre älter. Seine bleichen Wangen waren glattrasiert, und sein gesamtes Erscheinungsbild war das eines Asketen. Ein gegensätzlicheres Paar konnte ich mir kaum vorstellen.
    Der asketisch wirkende Herr redete eindringlich auf seinen Gefährten ein. Der ließ die Schultern hängen, schob den Kopf nach vorn und bewegte ihn hin und her auf eine Art, die mich an ein Reptil erinnerte. Sein Gegenüber nickte unwillig, als wäre es ihm nicht recht, beim Weingenuss gestört zu werden.
    Nachdem ich die beiden Männer eine Weile beobachtet hatte, fragte ich: »Mycroft, wer ist dieses seltsame Gespann?«
    Mein Bruder folgte meiner Blickrichtung. »Wenigstens einen von ihnen müsstest du kennen, so, wie du dich für die Naturwissenschaften interessierst«, sagte er.
    Ich bemühte mich, mir meine Ungeduld nicht anmerken zu lassen. »Wenn ich es wüsste, hätte ich dich nicht gefragt«, entgegnete ich knapp.
    »Der Ältere ist Professor Moriarty.«
    »Von der Queen’s Universität in Belfast?«, fragte ich interessiert.
    »Genau der.«
    Moriarty war mir immerhin ein Begriff, war er doch Verfasser des Werks »Die Dynamik eines Asteroiden«, eine Abhandlung, die sich in so ungeahnte Höhen der reinen Mathematik aufschwang, dass niemand in der naturwissenschaftlichen Presse sie zu besprechen vermochte.
    »Und

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