Das Fluestern des Todes
wir nicht bauen. Du bist es, die cool sein muss, selbst wenn dir nicht danach zumute ist.«
Sie nickte. »Glauben Sie, dass er okay ist?«
Ihre Miene verriet, dass sie von Chris redete – und dass sie über beide Ohren in ihn verliebt war. Um ehrlich zu sein, war es Lucas ziemlich schnurzegal, ob Chris okay war oder nicht – Hauptsache, er machte keine Dummheiten, die ihre Sicherheit gefährden würden. Andererseits war er sich bewusst, dass ihn ein echter Profi gar nicht erst aus dem Zimmer gelassen hätte.
»Hier in der Stadt sind wir sicher, und er musste einfach mal durchatmen. Vielleicht hilft es ihm ja, wieder einen klaren Kopf zu bekommen.«
»Wissen Sie, er verhält sich gewöhnlich nicht so. Er ist eigentlich ein toller Typ.«
»Ich weiß.« Er wollte sie nicht daran erinnern, dass er sie fast seit einer Woche beobachtet hatte und sich von ihnen durchaus ein Bild machen konnte – zumindest in ihrer gewohnten Umgebung und nicht in dieser Welt, in die sie so plötzlich hineingeworfen worden waren. »Aber davon abgesehen: Macht es wirklich einen Unterschied, was ich von euch beiden halte?«
Sie nickte stumm. Es spielte wirklich keine Rolle, was er über sie dachte. Er war eine unbekannte Größe – ein Mann, der nicht zu ihrem Leben gehörte, der sogar sein eigenes Leben hinter sich gelassen hatte und ihnen nun einen Gefallen tat, den er auch hätte ablehnen können. Er selbst wünschte inzwischen, er hätte sich nie auf diese Mission eingelassen, aber nun wollte er sie auch beenden und Ella wieder in Sicherheit bringen, wenn möglich direkt zurück zu Hatto. So er denn noch am Leben war.
»Du solltest ein bisschen schlafen.« Sie warf einen hoffnungsvollen Blick auf die Tür, machte es sich dann aber im Bett bequem. Nach ein paar Sekunden drehte sie sich auf die Seite und zeigte ihm den Rücken. Er hatte das Gefühl, dass sie noch immer wach war und auf Chris wartete, aber nach einer Weile öffnete er wieder sein Buch und vertiefte sich in die Ritterkämpfe aus längst vergangenen Zeiten.
Das inzwischen ausgelesene Buch, lag auf seinem Schoß, als er die Etagentür hörte und danach einige schwerfällige Schritte. Ella hob ihren Kopf, noch bevor Chris die Tür erreicht hatte. Das verabredete Klopfen kam und dann die stotternden Worte »Chris, äh … Craig hier.« Lucas öffnete ihm.
»Und, wie fühlst du dich?«, fragte Ella.
»Ganz okay. Wie geht’s dir?«
»Ich hab mir Sorgen um dich gemacht.«
»Tut mir leid.« Chris drehte sich zu Lucas um und sagte: »Ich hab ein paar Bier getrunken.«
Das hatten sie bereits bemerkt. »Ist schon in Ordnung.«, sagte Lucas. »Versuch ein bisschen zu schlafen.«
»Ich muss erst mal pinkeln.« Er schwankte ins Badezimmer, und Lucas und Ella warfen sich einen vielsagenden Blick zu.
Nach dem Bier sollte er zumindest gut schlafen können, dachte Lucas, und wenn er ausgeschlafen war, konnte er besser mit den Überraschungen umgehen, die der morgige Tag vielleicht noch für sie bereithielt. Bei Ella war er zuversichtlicher: Selbst nach den Ereignissen der letzten Stunden schien sie sich weitaus besser im Griff zu haben. Sie war einer dieser Menschen, die nicht ahnen, wie zäh sie in Wirklichkeit sind.
Chris kam aus dem Bad, machte einen Versuch, sich seine Klamotten auszuziehen, fiel dann aber krachend ins Bett. Ella strich ihm übers Haar und kuschelte sich in seine Arme. Da beide fast umgehend einzuschlafen schienen, löschte Lucas das Licht und starrte aus seinem Sessel in die Dunkelheit des Zimmers.
Er versuchte, noch einmal das Buch Revue passieren zu lassen, gab aber schnell wieder auf. Er konnte nur an seinen Job und die momentane Situation denken. Theoretisch lag der schwierigste Teil seiner Aufgabe bereits hinter ihm: Er hatte dafür gesorgt, dass sie noch lebte und unverletzt war. Morgen würde er sie endgültig in Sicherheit bringen.
Würde Mark Hatto morgen früh ans Telefon gehen, sollte das eigentlich kein Problem sein. Wenn er aber tot war, dann waren die Typen, die man auf Ella angesetzt hatte, Teil einer weit größeren Organisation – wahrscheinlich so groß, dass Lucas keine Chance gegen sie hatte. Zumal er schließlich schon seit ein paar Jahren im Ruhestand war.
Niemand hatte mehr Respekt vor ihm oder seinem Ruf; die meisten dieser Anfänger hatten vermutlich noch nie von ihm gehört. Das Mädchen, das dort auf dem Bett schlief, hatte keine Ahnung, dass ihr größtes Plus momentan die Tatsache war, dass ihn niemand als Bedrohung
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