Das Fluestern des Todes
dass sie lügt – und dass sie mehr weiß, als sie zugeben will.«
»Ich verstehe. Hören Sie, es tut mir leid …« Er zögerte. »Arbeiten Sie jetzt für Ella? Ist das der Grund, dass Sie hier sind?«
»Ich helfe ihr durch diese schwierige Phase, das ist alles.«
Chris rutschte unruhig auf seinem Sitz herum. Seine Stimme klang schriller, als er fortfuhr: »Okay, man könnte vielleicht den Eindruck bekommen, dass ich hier das Arschloch bin, aber gottverdammt: Wir waren nur befreundet. Es gibt bestimmt Ehepaare, die sich trennen, wenn ihnen etwas Ähnliches zustößt. Ich bin gerade mal zwanzig und zu jung für eine derart problematische Beziehung.«
»Das sehe ich genauso.«
Chris war überrascht, und seine Stimme entspannte sich wieder. »Was aber nicht der einzige Grund ist, dass ich mit ihr Schluss gemacht habe. Natürlich halten Sie mich jetzt für herzlos, aber tatsächlich ist sie es, die innerlich allmählich vereist. Ich habe im Sommer versucht, zu ihr durchzudringen, ich hab’s wirklich versucht, aber sie ließ mich abblitzen. Sie ist von dem Gedanken, die Übeltäter zu finden, derart besessen, dass sie ihre Umwelt aus den Augen verliert, mich eingeschlossen.«
Lucas hing für eine Sekunde der Frage nach, warum er wohl das Wort »Übeltäter« benutzte – ein fast schon verniedlichender Begriff für die Leute, von denen hier die Rede war –, sagte dann aber: »Mir persönlich ist das noch nicht aufgefallen, aber selbst wenn’s so wäre: Glaubst du nicht, dass es dafür gute Gründe gibt?«
»Vielleicht. Okay, vielleicht bin ich ja oberflächlich, aber ich muss mein Leben doch nicht unnötig verkomplizieren – zu diesem Zeitpunkt jedenfalls noch nicht. Ella ist eine wunderbare Frau, und es tut mir unendlich leid, was passiert ist – aber es ist ihr passiert, nicht uns, nicht mir. Was soll ich noch sagen? Ich kann nur hoffen, dass sie wieder in ihr Leben zurückfindet.« Lucas hatte das vage Gefühl, dass Chris von ihm eine Reaktion erwartete, wusste aber nicht, in welcher Form er sich äußern sollte. Nach einer längeren Pause war es Chris, der das Schweigen unterbrach: »Haben Sie denn eine Ahnung, wer’s getan haben könnte?«
Lucas zuckte lässig mit den Schultern. »Noch nicht, aber bei einem derartigen Mord hinterlassen die Auftragskiller eigentlich immer Spuren.« Chris nickte, schien aber noch etwas anderes auf dem Herzen zu haben, das er partout nicht über die Lippen brachte. »Du glaubst, dass es ihr Onkel war«, sagte Lucas.
Chris starrte ihn entgeistert an: »Woher wissen Sie das denn?«
»Das war geraten.«
»Ich hab keinen wirklichen Grund für die Vermutung, aber als ich ihn im Sommer kennenlernte … Ich weiß nicht, irgendetwas war faul an ihm, als wolle er etwas vertuschen.«
»Du könntest recht haben. Ich werd ihn umbringen.«
»Herrgott, nein! Ich wollte nur …« Lucas grinste, und Chris holte tief Luft. »Sie haben den schrägsten Humor, der mir je begegnet ist.«
»Du bist ja noch jung«, sagte Lucas und stand auf. »War jedenfalls nett, dich wiederzusehen. Alles Gute.« Auf dem Weg zur Tür zögerte er einen Moment, weil sein Blick auf mehrere Fotos fiel, die an der Wand hingen. Ella war auf einigen zu sehen, aber nicht häufiger als ein paar andere Gesichter auch – eine Gruppe von Kids, die am Strand oder beim Skifahren herumblödelten.
»Werde ich Sie wiedersehen?«
Lucas drehte sich um – unschlüssig, ob nun Hoffnung oder Besorgnis aus Chris’ Frage sprach. »Halte ich für eher unwahrscheinlich«, sagte er – und bekam gleich die Antwort, als Chris erleichtert aufatmete.
Auf seltsame Art fühlte er sich verletzt. Er mochte Chris. Sicher, er hätte ihn liebend gerne ins Jenseits befördert, als er in Florenz ihre Tarnung hatte auffliegen lassen. Aber er mochte ihn trotzdem, ja beneidete ihn fast. Er hatte Ella sitzen lassen, was sicher eine Charakterschwäche war, andererseits durchaus vergleichbar mit dem, was er selbst vor fünfzehn Jahren Madeleine angetan hatte. Davon abgesehen war er aber durchaus der Typ, der er selbst gerne gewesen wäre.
Er war’s aber nun mal nicht, und Ella Hatto hätte ihn mit Sicherheit auch nicht angerufen, wenn sie nicht so verzweifelt gewesen wäre. Aber jetzt war er nun mal hier und fragte sich, wie er sie durch den Trümmerhaufen ihres Lebens zu den dunklen Geheimnissen ihrer Familie manövrieren sollte. Denn Chris hatte vermutlich recht mit seiner Vermutung.
Lucas hatte mit dem Gedanken gespielt, sie direkt auf
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