Das Fluestern des Todes
aber vom Honigaroma seines Whiskeys ablenken. Warum sollte Dan ihm auch glauben? Er hatte im Sommer mehrere Leute umgebracht und saß nun hier, um den nächsten Job auszuführen. Der einzige Beleg für seinen Rückzug bestand in seiner eigenen, wenn auch nicht besonders starken Überzeugung, endgültig aus dem Metier ausgestiegen zu sein.
»Was hast du denn in letzter Zeit so getrieben?«
»Nicht viel. Im Sommer geh ich laufen, im Winter Skifahren. Ich lese, ich denke.«
»Was immer gefährlich ist«, meinte Dan und sah ihn durchdringend an. »Vermisst du es nicht manchmal? Der Vorfall in Italien – hat er dich nicht wieder wachgekitzelt?«
»Ein bisschen.« Er versuchte die Ereignisse zu rekapitulieren, aber im Rückblick war kein Adrenalin mehr zu spüren, nur der Schrecken, den Ella Hatto hatte durchmachen müssen und die auf seltsame Weise damit verflochtenen Gedanken an Paris und Madeleine und Isabelle. »Ich hab im Sommer meine Tochter gesehen.«
Dan stellte seinen Drink ab. »Himmel«, sagte er, sichtlich überrascht. »Ich wusste nicht mal, dass du verheiratet warst. Und nun sogar eine Tochter.«
»Wir waren nicht verheiratet, und wenn ich sage, ich habe meine Tochter gesehen, dann heißt das nicht, dass ich sie auch wirklich getroffen habe. Ich hab sie nur gesehen.« Er dachte an die Szene in dem Pariser Café zurück und musste unwillkürlich lächeln. »Aber um ehrlich zu sein, Dan: Das war ein größerer Kick als alles, was ich in den letzten zwanzig Jahren getan habe.«
Dan nickte. »Kann ich mir vorstellen.« Er schien für eine Weile in seine Gedanken vertieft. »Weißt du«, sagte er dann, »ich kann das Geschäft heute Nacht auch alleine durchziehen, wenn dir das lieber ist.«
»Nein, das ist eine persönliche Angelegenheit, die ich selbst erledigen will.« Das war glatt gelogen – wenn Madeleine anders reagiert hätte, wäre er heute mit Sicherheit gar nicht hier.
Dan holte ihn um vier Uhr morgens ab. Sie verließen die City und hatten auf dem Weg ins heruntergekommene Niemandsland im Westen der Stadt kaum Verkehr. Die Mietskasernen, die die Straßen säumten, waren mit Immigranten und Asylsuchenden heillos überfüllt. Es war der dunkle Bauch des großen Molochs London.
»Unser Mann wohnt im mittleren der drei Zimmer im Erdgeschoss«, sagte Dan, als den Wagen abstellte.
»Das macht die Angelegenheit noch unkomplizierter.« Er schraubte seinen Schalldämpfer auf. »Aber denk dran: Ich möchte nicht, dass irgendjemand verletzt wird.«
»Gilt das auch für uns?« Dan grinste und stieg aus dem Auto.
Im Vorgarten gammelte eine Matratze vor sich hin, in der Luft lag der Gestank von faulenden Essensresten. Selbst im gnädig schwachen Licht der Straßenlampen sah das Haus reichlich baufällig aus. Er hatte im Laufe der Jahre auch mal für die Hintermänner gearbeitet, die illegale Ausländer ins Land schleusten, und mochte nicht glauben, dass dies nun das gelobte Land war, in das all die Immigranten wollten.
Keine der Türen bereitete ihnen ein Problem, als sie geräuschlos ins Schlafzimmer eindrangen. Auch im Rest des Hauses blieb alles ruhig und dunkel. Dan schaltete das Licht an, aber Novakovic kam erst zu sich, als Lucas bereits die Pistole gegen seinen Kopf drückte. Novakovic, noch immer schlaftrunken, nickte nur müde mit dem Kopf. Es hatte sich in sein Schicksal ergeben.
Dan riss die Bettdecke weg und bedeutete ihm, sich aufzusetzen. Lucas trat einen Schritt zurück, während sich Novakovic langsam im Bett aufrichtete. Er war nackt und durchtrainiert. Als Dan ihn leise fragte, wo seine Waffe war, nickte er nur kraftlos zu einem Nachttisch neben dem Bett.
Dan öffnete die oberste Schublade und fischte mehrere Pistolen heraus. Lucas warf einen Blick auf den Rest des Zimmers: Es war zwar vollgestopft, gleichzeitig aber erstaunlich aufgeräumt. Bücher, Poster oder andere persönliche Gegenstände fehlten allerdings völlig.
Angesichts der Tatsache, dass sich Novakovic einen gewissen Ruf erarbeitet hatte, fragte sich Lucas, wie hoch wohl sein Honorar sein mochte. Immerhin hatte man ihm einen Auftrag wie die Hatto-Morde gegeben – und doch lebte er in einem winzigen Zimmer in dieser Bruchbude. Was immer seine Gründe für diese Lebensumstände auch waren: Er tat Lucas fast schon leid.
»Okay, sag ihm, er soll sich anziehen. Ich geh vor die Tür und halt die Augen offen.« Lucas trat in den kleinen Flur hinaus und zog die Zimmertür hinter sich zu.
Er machte ein paar Schritte zur
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