Das Fluestern des Todes
er sich noch immer schwertat – diese verbalen Schnörkel, bevor es zum eigentlichen Thema ging.
»Oh, gut. Hat’s Ihnen gefallen?«
»Ja. Nichts Weltbewegendes, aber definitiv ein gutes Buch. Ich hab sogar noch einige andere Romane von ihr gelesen.«
Sie lächelte höflich und schwieg – zum Teil, weil sie keine anderen Bücher von Jane Austen gelesen hatte und nicht mitreden konnte, zum Teil, weil ihr dieses Gespräch sehr seltsam vorkam.
»Du möchtest, dass ich die Mörder deiner Familie finde?«
Sie nickte ganz offensichtlich erleichtert.
»Und wenn ich sie finde?«
»Ich möchte sie hinter Schloss und Riegel sehen. Ich will Gerechtigkeit.«
Er hätte aufstehen und gehen sollen – einen größeren Gefallen konnte er ihr nicht erweisen. Natürlich konnte er verstehen, dass sie die Wahrheit über die Morde erfahren wollte, aber irrigerweise glaubte sie auch, dass automatisch ein gerechtes Urteil gefällt würde, nur weil man die richtigen Beweise auf den Tisch legte.
»Ich kann sie finden, aber ich sage dir eines: Du wirst ihnen nichts anhängen können. Und wenn doch, wird das Urteil nicht deinen Erwartungen entsprechen – und schon gar nicht das wiedergutmachen, was man dir angetan hat.«
»Das kapier ich nicht.« In ihrem Gesicht machte sich Ratlosigkeit breit. »Sie behaupten, Sie könnten sie finden – und trotzdem ist alles völlig sinnlos?«
»Sinnlos vielleicht nicht, aber du solltest dir im Klaren sein, was du wirklich willst. Wenn die Person, die deine Eltern und deinen Bruder erschossen hat, in diesem Moment vor dir stünde – was würdest du tun? Ehrlich, was würdest du tun?«
Lucas schwieg, um ihr Zeit zum Nachdenken zu geben. Er hoffte für sie – und vielleicht auch für sich selbst –, dass sie nicht ihren spontanen Impulsen nachgeben würde. Jedenfalls war er wild entschlossen, ihr unmissverständlich vor Augen zu führen, wohin die vermeintlich süße Rache sie letztendlich führen würde.
Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihre Überlegungen. Sie gab ihm mit der Hand ein Zeichen, zum Kleiderschrank zu treten, damit man ihn von der Tür aus nicht sehen konnte. Er ging in die Ecke, und sie öffnete.
»Hallo, Brian.«
»Hallo, Ella.« Es war die Stimme eines älteren Mannes. »Tut mir wirklich leid, Sie zu stören, aber wie Sie wissen, muss ich allen Beschwerden nachgehen.«
»Natürlich. Worum geht’s denn?« Lucas wusste sofort, worum es ging. Es war unglaublich, dass der Typ aus der Küche trotz seiner Drohung so bescheuert war, den Vorfall zu melden. »Al Brown behauptet, einer Ihrer Besucher hätte ihn tätlich angegriffen, und nun ja …« Er wirkte peinlich berührt, als ob das, was er zu sagen hatte, selbst in seinen Ohren völlig lächerlich klang. »Er behauptet, Ihr Besucher habe ihn mit einer Waffe bedroht.« Ella lachte, und der Mann konnte ebenfalls nicht länger an sich halten. »Ich weiß, ich weiß, aber ich muss solchen Meldungen nun mal nachgehen, und er hat ja auch ein blaues Auge.«
»Brian, ich hatte gar keinen Besuch. Wie der Zufall es will, bin ich gerade am Packen. Ich hab mich entschlossen, erst nächstes Jahr wiederzukommen.«
»Oh.« Er klang enttäuscht. »Ich verstehe. Sie haben viel durchgemacht.«
»Ja. Wenn Sie vielleicht noch dem Dekan ausrichten könnten, dass Leute wie Al Brown mich ständig belästigt haben – zum Beispiel mit dummen Scherzen wie diesem hier. Das hat es mir hier nicht gerade leicht gemacht.«
»Ich verstehe. Das war mir nicht bewusst, aber ich werde den Dekan davon unterrichten. Werden Sie denn noch bei mir vorbeikommen, um sich zu verabschieden?«
»Natürlich. Bis später.« Sie schloss die Tür, hielt aber den Finger vor ihre Lippen. Einen Moment später lächelte sie. »Der Hausmeister, ein netter Mensch«, sagte sie mit gedämpfter Stimme. »Sie haben nicht zufällig mitbekommen, dass jemand geschlagen und mit einer Waffe bedroht wurde?«
Lucas zuckte die Schultern. »Ich bin es nicht gewohnt, dass man mir gegenüber so unhöflich ist.«
»Machen Sie sich keine Gedanken. Die meisten Leute hier würden Ihnen einen Ehrendoktor verleihen, wenn Sie ihn an Ort und Stelle umgebracht hätten.« Sie lachte und setzte sich wieder auf die Bettkante.
»Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet.«
»Die Antwort liegt doch auf der Hand, oder nicht? Ich möchte den Mörder nicht im Gefängnis, sondern tot sehen. Ich möchte ihn leiden sehen. Letztlich wollen Sie doch von mir wissen, ob ich bereit bin, diesen Weg
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