Das Foucaultsche Pendel
ich gelinde gesagt ein Mann ohne Ehre bin, aber ich rette meine Lieben. Sardinien ist sehr schön, wie ich höre, ich werde nicht mal sparen müssen, um meine Kinder im Sommer ans Meer zu schicken. Arrivederci.«
»Warten Sie, die Sache ist ernst, ich bin in Schwierigkeiten...«
»Sie sind in Schwierigkeiten? Na sehen Sie mal an! Als ich Sie damals um Hilfe bat, haben Sie mir nicht geholfen, Sie nicht und nicht Ihr Freund Casaubon. Und jetzt, wo Sie Schwierigkeiten haben, bitten Sie mich um Hilfe. Ich bin auch in Schwierigkeiten. Sie sind zu spät gekommen. Die Polizei dient dem Bürger, wie es in den Filmen heißt, ist es das, woran Sie denken? Gut, dann wenden Sie sich an die Polizei, an meinen Nachfolger.«
Belbo legte auf. Alles perfekt, sie hatten ihn sogar daran gehindert, sich an den einzigen Polizisten zu wenden, der ihm hätte glauben können.
Dann dachte er, daß vielleicht Signor Garamond mit all seinen vielen Bekannten, seinen Beziehungen zu Präfekten, zu Polizeipräsidenten, hohen Regierungsbeamten et cetera etwas für ihn tun könnte, und war zu ihm gegangen.
Garamond hatte sich seine Geschichte liebenswürdig angehört, hatte ihn hin und wieder mit höflichen Ausrufen unterbrochen wie »Nein, was Sie nicht sagen!«, »Also was man so alles zu hören kriegt!«, »Das klingt ja wie ein Roman, ich sage noch mehr, eine Erfindung!« Dann hatte er die Hän-de gefaltet, hatte Belbo mit unendlicher Sympathie angesehen und gesagt: »Mein Junge, erlauben Sie mir diese Anrede, denn ich könnte Ihr Vater sein — ach Gott, Ihr Vater viel-670
leicht nicht, denn ich bin noch ein junger Mann, ich sage noch mehr, ein jüngerer, aber doch so etwas wie ein älterer Bruder, wenn Sie gestatten. Ich spreche zu Ihnen von Herzen, wir kennen uns seit vielen Jahren. Mein Eindruck ist, daß Sie übermäßig erregt sind, überdreht, am Ende mit Ihren Kräften, entnervt, ich sage noch mehr, erschöpft. Glauben Sie nicht, ich hätte dafür kein Verständnis, ich weiß, daß Sie sich mit Leib und Seele für den Verlag aufopfern, und eines Tages wird man dem auch in sozusagen materieller Hinsicht Rechnung tragen müssen, denn auch das kann nichts schaden. Aber wenn ich Sie wäre, würde ich einmal Urlaub machen. Sie sagen, daß Sie sich in einer peinlichen Situation befinden. Offen gesagt, ich würde nicht dramatisieren, auch wenn es, gestatten Sie mir das zu sagen, für den Verlag Garamond unangenehm wäre, wenn einer seiner Angestellten, der beste, in eine trübe Geschichte verwickelt wäre. Sie sagen, daß jemand Sie in Paris haben will. Nun, ich will gar nicht in die Einzelheiten gehen, ich glaube Ihnen ganz einfach. Na und? Warum fahren Sie nicht einfach hin, ist es nicht besser, die Dinge sofort klarzustellen? Sie sagen, daß Sie mit einem Gentleman wie Doktor Agliè in — wie sagt man — Konflikt geraten sind. Ich will gar nicht wissen, was genau zwischen Ihnen beiden passiert ist, und ich würde nicht allzuviel nachgrübeln über diese zufällige Namens-gleichheit, von der Sie mir gesprochen haben. Wie viele Leute auf dieser Welt mögen wohl Germain heißen oder so ähnlich, meinen Sie nicht? Wenn Agliè Ihnen sagen läßt, fahren Sie nach Paris, damit alles geklärt werden kann, nun, so fahren Sie doch nach Paris, es wird nicht der Weltuntergang sein. In den zwischenmenschlichen Beziehungen bedarf es der Klarheit. Fahren Sie nach Paris, und wenn Ihnen etwas auf dem Magen liegt, haben Sie keine Hemmungen, sagen Sie’s. Was man im Herzen hat, soll man auch im Munde haben. Was sind denn das schon groß für Geheimnisse! Doktor Agliè grämt sich, wenn ich recht verstanden habe, weil Sie ihm nicht sagen wollen, wo sich eine bestimmte Landkarte befindet, ein Stück Papier, eine Botschaft, was weiß ich, etwas, das Sie haben und das Ihnen nichts nützt, während Agliè es womöglich zu Studienzwecken braucht. Wir alle stehen doch im Dienst der Kultur, oder täusche ich mich? Also geben Sie ihm diese Landkarte, diese Weltkarte, 671
diese topographische Skizze, ich will gar nicht wissen, was es ist. Wenn ihm so viel daran liegt, wird er schon einen Grund dafür haben, sicher einen respektablen, ein Gentleman ist ein Gentleman. Fahren Sie nach Paris, ein kräftiger Händedruck, und alles ist gut. D’accord? Und quälen Sie sich nicht mehr als nötig. Sie wissen, ich bin immer hier.« Er betätigte die Sprechanlage: »Signora Grazia... Da sehen Sie, wieder nicht da, nie ist sie da, wenn man sie braucht! Mein lieber Belbo,
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