Das Foucaultsche Pendel
nach Abenteuern. Das neue Reich von Jerusalem ist ein bißchen das Kalifornien jener Epoche, da kann man sein Glück machen. Zu Hause haben sie nicht viele Chancen, für einige war der Boden wohl auch zu heiß geworden. Ich sehe die ganze Sache etwa so wie die Fremdenlegion. Was macht man, wenn man in der Tinte sitzt? Man geht zu den Templern, da kommt man in der Welt rum, amüsiert sich, darf sich raufen, kriegt zu essen und was zum Anziehen, und am Ende hat man sogar seine Seele gerettet. Natürlich, man mußte schon ziemlich am Ende sein, es bedeutete schließ-
lich, in die Wüste zu gehen, in Zelten zu schlafen, tage- und nächtelang keine lebende Seele zu sehen außer anderen Templern, und in der glühenden Sonne zu reiten, quälenden Durst zu ertragen und anderen armen Teufeln den Bauch aufzuschlitzen...«
Ich hielt einen Augenblick inne. »Vielleicht mach ich’s ein bißchen zu sehr auf Western. Wahrscheinlich gab es eine dritte Phase: Der Orden ist reich geworden, inzwischen kommen auch Leute, die zu Hause gutsituiert sind. Aber Templer sein heißt jetzt nicht mehr unbedingt, im Heiligen Land zu wirken, man kann auch zu Hause den Templer spielen.
Eine komplizierte Geschichte. Mal erscheinen sie als rohe Haudegen, mal legen sie eine gewisse Sensibilität an den Tag. Zum Beispiel kann man nicht sagen, daß sie Rassisten gewesen wären: Sie bekämpften die Muslime, dazu waren sie da, aber in ritterlichem Geist, und man hatte Achtung voreinander. Als der Gesandte des Emirs von Damaskus Jerusalem besucht, überlassen die Templer ihm eine kleine Moschee, die schon zur christlichen Kirche umfunktioniert worden war, damit er dort seine Gebete verrichten kann.
Eines Tages kommt ein Franke herein, empört sich über die Anwesenheit eines ›Muselmanns‹ an einem heiligen Ort und mißhandelt ihn. Aber die Templer jagen den Intoleranten hinaus und entschuldigen sich für ihn bei dem Muslim. Diese Waffenbrüderschaft mit dem Feind kommt sie schließlich teuer zu stehen, denn im Prozeß werden sie auch beschuldigt, Beziehungen zu esoterischen Muslim-Sekten unterhal-96
ten zu haben. Was vielleicht sogar stimmte, es war wohl ein bißchen wie bei jenen Abenteurern im vorigen Jahrhundert, die sich die ›Afrikanische Krankheit‹ holten. Sie hatten keine reguläre Klostererziehung genossen, sie waren nicht besonders feinsinnig im Erfassen der theologischen Unterschiede, man muß sie sich vielleicht so vorstellen wie Lawrence von Arabien, der sich nach einer Weile wie ein Scheich anzieht...
Naja, und außerdem ist es schwierig, ihre Aktionen richtig einzuschätzen, weil die christlichen Geschichtsschreiber oft, wie Guillaume von Tyrus, keine Gelegenheit auslassen, um sie anzuschwärzen.«
»Warum?«
»Weil sie zu schnell zu mächtig geworden sind. Schuld daran war der heilige Bernhard — Bernhard von Clairvaux, der ist Ihnen doch ein Begriff, nein? Großer Organisator, reformiert den Benediktinerorden, räumt gnadenlos allen Schmuck aus den Kirchen, wenn ein Kollege ihm auf die Nerven geht, wie Abaelard, attackiert er ihn à la McCarthy und würde ihn, wenn er könnte, am liebsten auf den Scheiterhaufen bringen. Ersatzweise läßt er seine Bücher verbrennen. Dann ruft er zum Kreuzzug auf und predigt: Bewaffnet euch und zieht los gegen die Heiden...«
»Sie mögen ihn nicht«, bemerkte Belbo.
»Ich kann ihn nicht ausstehen, wenn es nach mir ginge, säße er jetzt in einem der inneren Höllenkreise, von wegen Heiliger! Aber er war ein guter PR-Mann seiner selbst, siehe die Position, die ihm Dante verleiht: er macht ihn zum Kabi-nettschef der Madonna. Heiliger ist er geworden, weil er sich mit den richtigen Leuten zusammengetan hat Aber ich sprach von den Templern. Bernhard hat sofort gerochen, daß die Idee kultiviert werden muß, er unterstützt diese neun Abenteurer, macht sie zu einer Militia Christi, wir können ruhig sagen, die Templer in ihrer heroischen Version, die hat er erfunden. 1128 läßt er extra ein Konzil in Troyes einberufen, um zu definieren, was genau diese neuen Mönchssoldaten sein sollen, und ein paar Jahre später schreibt er eine Eloge auf diese ›Christus-Milizen‹ und ent-wirft eine Regel mit zweiundsiebzig Artikeln, amüsant zu lesen, weil man da alles finden kann. Jeden Tag Messe, kein Umgang mit exkommunizierten Rittern, aber wenn einer von ihnen um Aufnahme in den Tempel ersucht, muß man 97
ihn christlich empfangen — da können Sie sehen, wie recht ich hatte, als ich von
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