Das Foucaultsche Pendel
sagen, weil er während seiner ganzen Karriere nur ganz wenige Brüder initiiert habe.
Ein anderer sagt, er habe den Meister zwar schon geküßt,
* auf den unteren Teil der Wirbelsäule... in Beleidigung der Menschenwürde.
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aber nicht auf den Hintern, sondern bloß auf den Mund, allerdings habe der Meister dann ihn auf den Hintern ge-küßt. Einige gestehen mehr als nötig: Sie hätten nicht nur Christus verleugnet, sondern auch behauptet, er sei ein Verbrecher gewesen, sie hätten die Jungfräulichkeit Mariens geleugnet, und aufs Kruzifix hätten sie sogar uriniert, und das nicht nur am Tage ihrer Initiation, sondern auch während der Karwoche; sie glaubten nicht an die Sakramente, und sie hätten sich nicht damit begnügt, nur den Baphomet anzubeten, sondern auch den Teufel in Gestalt einer Katze...«
Nicht minder grotesk, wenn auch nicht ganz so unglaublich, ist das Ballett, das daraufhin zwischen König und Papst beginnt. Der Papst will den Fall in die Hand nehmen, der König zieht es vor, den Prozeß allein durchzufahren, der Papst möchte den Orden nur vorübergehend verbieten, um die Schuldigen zu bestrafen, und ihn dann wieder in seiner ursprünglichen Reinheit erneuern, der König will, daß der Skandal um sich greift und der Prozeß den Orden in seiner Gesamtheit erfaßt, damit er ihn endgültig zerschlagen kann, politisch und religiös, aber vor allem finanziell.
Schließlich taucht ein Dokument auf, das ein Meisterwerk der Jurisprudenz ist. Hochgelehrte Magister der Theologie legen fest, daß den Verurteilten kein Verteidiger zuerkannt werden dürfe, damit es nicht dazu komme, daß sie widerrie-fen; da sie ja gestanden hätten, sei es nicht nötig, einen Prozeß zu eröffnen, der König müsse von Amts wegen handeln, einen Prozeß mache man nur, wenn es Zweifel gebe, und von Zweifeln könne hier nicht die Rede sein. »Also wozu ihnen dann noch einen Verteidiger geben, außer um ihre eingestandenen Verfehlungen zu verteidigen, da doch die Evidenz der Fakten ihr Verbrechen beweist?«
Weil jedoch die Gefahr besteht, daß der Prozeß dem König entgleitet und in die Hände des Papstes gelangt, ziehen der König und Nogaret einen sensationellen Fall auf, eine Affä-
re, die den Bischof von Troyes involviert, der aufgrund der Anzeige eines mysteriösen Intriganten, eines gewissen Noffo Dei, der Hexerei bezichtigt wird. Später stellt sich heraus, daß dieser Noffo Dei gelogen hat — wofür er dann gehängt wird —, aber bis dahin ergießen sich über den armen Bischof öffentliche Anklagen wegen Sodomie, Sakrileg und Wucher.
Dieselben, die man den Templern vorwirft. Vielleicht will 119
der König damit den Söhnen Frankreichs bedeuten, daß die Kirche kein Recht habe, über die Templer zu richten, da sie selber nicht immun gegen deren Verfehlungen sei, oder er will nur einfach dem Papst eine Warnung erteilen. Das Ganze ist eine ziemlich obskure Geschichte, ein undurchsichtiges Spiel zwischen Polizei und Geheimdiensten, mit Infiltra-tionen und Denunziationen... Der Papst gerät in die Bre-douille und genehmigt schließlich, daß zweiundsiebzig Templer verhört werden, die im Verhör bekräftigen, was sie unter der Folter gestanden haben. Doch der Papst setzt auf ihre Reue und spielt die Karte der Abschwörung aus, um ihnen vergeben zu können.
Hier geschieht nun noch etwas anderes — etwas Rätselhaftes, das einen der Punkte darstellte, die ich in meiner Dissertation aufklären sollte, wobei ich mich zwischen widersprüchlichen Quellen hin- und hergerissen sah: Kaum hat der Papst nach langen Bemühungen endlich die Aufsicht über die Templer erlangt, überstellt er sie wieder dem Kö-
nig. Ich habe nie begriffen, was da passiert ist. Molay widerruft sein Geständnis, Clemens bietet ihm Gelegenheit, sich zu verteidigen, und schickt drei Kardinale, ihn zu verhören.
Am 26. November 1309 unternimmt Molay eine hochfahren-de Verteidigung des Ordens und seiner Reinheit, wobei er sich bis zur Bedrohung der Ankläger steigert, dann wird er von einem Abgesandten des Königs aufgesucht, einem gewissen Guillaume de Plaisans, den er für seinen Freund hält, nimmt obskure Ratschläge entgegen und gibt am 28. desselben Monats eine sehr schüchterne und vage Erklärung ab: Er sei nur ein armer und ungebildeter Ritter, sagt er, und beschränkt sich darauf, die (inzwischen weit zurückliegenden) Verdienste des Tempelordens aufzuzählen, die Almosen, die er gegeben, den Blutzoll, den er im Heiligen Lande
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