Das Foucaultsche Pendel
Aussagen heißt es, viele hätten diese Köpfe gesehen, und manchmal ist es anstatt eines Kopfes sogar ein ganzes Götzenbild, aus Holz, mit Kraushaar, vergoldet, und immer mit Bart. Es scheint, daß die Inquisitoren einige dieser Köpfe gefunden und den Verhörten gezeigt haben, aber am Ende ist keine Spur von ihnen geblieben, alle haben sie gesehen, keiner hat sie gesehen. Wie die Geschichte mit der Katze: die einen haben eine graue gesehen, die anderen eine rote, die dritten eine schwarze. Aber stellen Sie sich ein Verhör mit glühenden Eisen vor: Hast du während deiner Initiation eine Katze gesehen? Sicher, wieso auch nicht, auf einem Templergut 124
mit all den Vorräten, die es vor Mäusen zu schützen galt, muß es von Katzen gewimmelt haben. Damals war die Katze in Europa noch nicht sehr verbreitet als Haustier, aber in Ägypten schon. Wer weiß, vielleicht haben sich die Templer zu Hause Katzen gehalten, entgegen den Gebräuchen der braven Leute, die Katzen als verdächtige Tiere ansahen. Und so kann es auch mit den Baphomet-Köpfen gewesen sein, vielleicht waren es Reliquiare in Form eines Kopfes, das gab es damals. Natürlich gibt es auch Leute, die behaupten, der Baphomet sei eine alchimistische Figur gewesen.«
»Die Alchimie ist immer im Spiel«, sagte Diotallevi mit Überzeugung. »Wahrscheinlich kannten die Templer das Geheimnis, wie man Gold macht.«
»Sicher kannten sie es«, sagte Belbo. »Man stürmt eine sarazenische Stadt, schlachtet Frauen und Kinder ab und rafft alles zusammen, was man kriegen kann... In Wahrheit ist das Ganze eine ziemlich krause Geschichte.«
»Vielleicht hatten sie auch ein krauses Durcheinander in ihren Köpfen, verstehen Sie? Was kümmerten sie die doktri-nären Debatten? Die Geschichte ist voll von Geschichten solcher Eliten, die sich ihren eigenen Stil zurechtbosselten, ein bißchen großmäulig, ein bißchen mystisch, sie wußten selber nicht recht, was sie taten... Natürlich gibt es dann auch die esoterische Deutung: Sie wußten sehr genau, was sie taten, sie wußten alles, sie waren Jünger der orientalischen Mysterien, und sogar der Arschkuß hatte einen initiatischen Hintersinn.«
»Erklären Sie mir mal ein bißchen, was der Arschkuß für einen initiatischen Hintersinn hatte«, sagte Diotallevi.
»Gewisse moderne Esoteriker behaupten, die Templer hätten sich auf indische Lehren berufen. Der Kuß auf den Hintern habe dazu gedient, die Schlange Kundalini zu wecken, eine kosmische Kraft, die an der Wurzel des Rückgrats sitze, in den Geschlechtsdrüsen, und die, wenn sie einmal geweckt worden sei, die Zirbeldrüse erreiche...«
»Die von Descartes?«
»Ja, ich glaube, und da sollte sie dann in der Stirn ein drittes Auge öffnen, das Auge der direkten Sicht in Zeit und Raum. Deswegen sucht man noch heute nach dem Geheimnis der Templer.«
»Philipp der Schöne hätte lieber die modernen Esoteriker 125
verbrennen sollen, anstatt diese armen Teufel.«
»Ja, aber die modernen Esoteriker haben keinen Pfennig.«
»Da sehen Sie mal, was für Geschichten man noch zu hö-
ren bekommt«, schloß Belbo. »Jetzt verstehe ich endlich, warum diese Templer so vielen von meinen Irren im Kopf herumspuken.«
»Ich glaube, das Ganze ist ein bißchen wie Ihre Geschichte von gestern abend. Ein krauser, verdrehter Syllogismus. Benimm dich wie ein Dummer, und du wirst undurchschaubar für alle Ewigkeit. Abrakadabra, Mene Tekel Upharsin, Pape Satan Pape Satan Aleppe, le vierge le vivace et le bel aujourd’hui — jedesmal wenn ein Dichter, ein Prediger, ein Potentat oder Magier irgendein bedeutungsloses Gekrächze von sich gegeben hat, verbringt die Menschheit Jahrhunderte damit, seine Botschaft zu ergründen. Die Templer bleiben unergründlich wegen der Konfusion, die in ihren Köpfen herrschte. Deswegen werden sie von so vielen verehrt.«
»Eine positivistische Erklärung«, sagte Diotallevi.
»Ja, vielleicht bin ich ein Positivist«, sagte ich. »Mit einer kleinen chirurgischen Operation an der Zirbeldrüse hätten die Templer leicht Johanniter werden können, also normale Menschen. Der Krieg zerstört die Gehirnkreisläufe, muß der Kanonendonner sein, oder das griechische Feuer. Sehen Sie sich die Generäle an.«
Es war ein Uhr nachts. Diotallevi schwankte, betrunken vom Tonic Water. Wir verabschiedeten uns. Ich hatte mich gut unterhalten. Und sie auch. Wir wußten noch nicht, daß wir begonnen hatten, mit dem griechischen Feuer zu spielen, das brennt und
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