Das Foucaultsche Pendel
entrichtet habe, und so weiter. Obendrein kommt auch noch Nogaret und erinnert an die mehr als freundschaftlichen Kontakte, die der Orden mit Saladin gehabt habe — womit wir bei der Insinuation eines hochverräterischen Verbrechens wären.
Molays Rechtfertigungen klingen peinlich, der Mann, der seit zwei Jahren im Gefängnis sitzt, erscheint in dieser Aussage nur noch als Nervenbündel, aber als Nervenbündel hatte er sich auch schon gleich nach der Verhaftung gezeigt. In einer dritten Aussage, im März des folgenden Jahres, befolgt 120
Molay eine andere Strategie: Er sage nichts und werde nichts sagen, außer vor dem Papst.
Szenenwechsel, diesmal zum epischen Drama. Im April 1310 verlangen fünfhundertfünfzig Templer, zur Verteidigung ihres Ordens gehört zu werden, prangern die Foltern an, denen die Geständigen unterzogen worden sind, negieren und widerlegen alle Anklagepunkte als unhaltbare Verleumdungen. Doch der König und Nogaret verstehen ihr Handwerk. Einige Templer widerrufen? Um so besser, dann sind sie als Rückfällige und Meineidige zu betrachten — als relapsi, eine schreckliche Anklage in jenen Zeiten —, da sie hochmütig ableugnen, was sie bereits gestanden hatten. Vergeben kann man allenfalls dem, der gesteht und bereut, nicht aber dem, der keine Reue zeigt, da er sein Geständnis widerruft und meineidig sagt, er habe nichts zu bereuen. Vierundfünfzig meineidige Widerrufer werden zum Tode verurteilt.
Die Reaktion der anderen Häftlinge kann man sich leicht vorstellen: Wer gesteht, bleibt am Leben, wenn auch im Ge-fängnis, und wer am Leben bleibt, kann noch hoffen. Wer nicht gesteht oder gar widerruft, kommt auf den Scheiterhaufen. Die fünfhundert noch lebenden Widerrufer widerrufen den Widerruf.
Die Rechnung der Reumütigen geht auf, denn 1312 werden diejenigen, die nicht gestanden haben, zu lebenslänglichem Kerker verurteilt, während die Geständigen freikom-men. Philipp hatte kein Interesse an einem Massaker, er wollte nur den Orden zerschlagen. Die freigelassenen Ritter, nach vier bis fünf Jahren Gefängnis an Leib und Seele zermürbt, verschwinden still in anderen Orden, sie wollen nur noch vergessen werden, und dieses Verschwinden, diese Auslöschung wird noch lange auf der Legende vom heimlichen Überleben des Ordens lasten.
Jacques de Molay verlangt weiter, vom Papst angehört zu werden. Clemens beruft ein Konzil ein, in Vienne anno 1311, jedoch ohne Molay einzuladen. Er sanktioniert die Auflö-
sung des Ordens und weist dessen Güter den Johannitern zu, obwohl sie einstweilen noch vom König verwaltet werden.
Drei Jahre vergehen, schließlich kommt es zu einer Verständigung zwischen König und Papst, und am 19. März Anno Domini 1314, in Paris auf dem Platz vor Notre-Dame, 121
wird Molay zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Als er das Urteil vernimmt, durchzuckt ihn ein jäher Anflug von Wür-de. Er hatte erwartet, daß der Papst ihm gestatten würde, sich zu rechtfertigen, er fühlt sich verraten. Er weiß genau, wenn er noch einmal widerruft, wird auch er ein meineidiger relapsus sein. Was geht in seinem Herzen vor, nach fast siebenjährigem Warten auf das Urteil? Findet er zum Mut seiner Vorgänger zurück? Beschließt er, daß er, zermürbt, wie er ist, und mit der Aussicht, seine Tage lebendig einge-mauert und entehrt zu beenden, nun ebensogut einen schö-
nen Tod auf sich nehmen kann? Er beteuert seine und seiner Brüder Unschuld und sagt, die Templer hätten nur ein Delikt begangen: Sie hätten aus Feigheit den Tempel verraten. Er mache dabei nicht mit.
Nogaret reibt sich die Hände: für öffentliches Vergehen öffentliche — und endgültige — Verurteilung, im Schnell-verfahren. So wie Molay hatte sich auch Geoffroy de Charnay verhalten, der Präzeptor der Normandie. Der Kö-
nig entscheidet noch selbigen Tages: Ein Scheiterhaufen wird an der Spitze der Ile de la Cité errichtet. Bei Sonnenuntergang werden Molay und Charnay verbrannt.
Nach der Überlieferung soll der Großmeister des Templerordens, ehe er starb, den Ruin seiner Verfolger prophezeit haben. Tatsächlich starben der Papst, der König und Nogaret noch im selben Jahre. Was Marigny betraf, so geriet er nach dem Tod des Königs in den Verdacht der Unterschla-gung.
Seine Feinde bezichtigten ihn der Hexerei und brachten ihn an den Galgen. Viele begannen, Molay als einen Märtyrer zu sehen. Dante hat den Unmut vieler Zeitgenossen über die Verfolgung der Templer zum Ausdruck gebracht.
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