Das Foucaultsche Pendel
eine Armee, verwaltete einen immensen Grundbesitz, war gewählt wie der Kaiser und besaß eine unumschränkte Autorität. Der französische Staatsschatz befand sich nicht in den Händen des Königs, sondern wurde im Pariser Tempel gehütet. Die Templer waren die Depositä-
re, Prokuristen und Verwalter eines formal auf den Namen des Königs eingetragenen Kontos. Sie kassierten, bezahlten, spekulierten mit den Zinsen, kurzum: sie benahmen sich wie eine große Privatbank, aber mit allen Privilegien und Frei-heiten einer Staatsbank. Und des Königs Schatzmeister war ein Templer... Kann man unter solchen Bedingungen ernstlich regieren?
Wen man nicht schlagen kann, den muß man umarmen.
Philipp ersuchte den Orden, ihn zum Ehrenmitglied zu ernennen. Die Antwort war negativ. Eine Beleidigung, die sich ein König merkt. Er wandte sich an den Papst und legte ihm nahe, die Templer mit den Johannitern zu fusionieren, um den neuen Orden dann einem seiner Söhne zu unterstellen.
Der Großmeister des Tempels, Jacques de Molay, kam mit großem Pomp aus Zypern angereist, wo er inzwischen wie ein Monarch im Exil residierte, und legte dem Papst eine Denkschrift vor, in der er scheinbar die Vorteile, in Wahrheit aber die Nachteile der Fusion hervorhob. Ohne Scham gab Molay unter anderem zu bedenken, daß die Templer reicher als die Johanniter seien, die Fusion also mehr den einen als den anderen zugute käme, was den Seelen seiner Ritter sehr zum Schaden gereichen würde. Molay gewann diese erste Partie des beginnenden Spiels, der Fall wurde zu den Akten gelegt.
Nun blieb nur noch die Verleumdung, und hier hatte der König leichtes Spiel. Gerüchte über die Templer waren seit langem im Umlauf. Wie mußten sie den guten Franzosen erscheinen, diese »Kolonialisten«, die herumliefen und den Zehnten eintrieben, ohne selber etwas dafür zu entrichten, inzwischen nicht einmal mehr ihren Blutzoll als Hüter des Heiligen Grabes? Gewiß waren auch sie Franzosen, aber doch nicht ganz richtige, eher pieds noirs oder, wie man damals sagte, poulains, Fohlen. Sie gaben sich exotisch, womöglich unterhielten sie sich miteinander gar in der Maurensprache, an die sie sich gewöhnt hatten. Sie waren Mönche, aber ihre wüst-arroganten Sitten waren bekannt, schon vor 115
Jahren hatte Papst Innozenz III. sich veranlaßt gesehen, eine Bulle De insolentia Templariorum zu schreiben. Sie hatten das Armutsgelübde abgelegt, aber sie traten auf mit dem Prunk einer aristokratischen Kaste, der Habsucht des neuen Bür-gertums und der Dreistigkeit einer Musketiertruppe.
Es bedarf wenig, um vom Gerücht zum Geraune, zur schlüpfrigen Anspielung überzugehen — Homosexuelle, Häretiker, Götzendiener, die einen bärtigen Kopf anbeten, bei dem man nicht weiß, woher er kommt, aber bestimmt nicht aus dem Pantheon der guten Gläubigen. Womöglich teilen sie die Geheimnisse der Ismaeliten, verkehren gar mit den Assassinen des Alten vom Berge... Philipp und seine Ratgeber wissen sich dieses Gerede zunutze zu machen.
Hinter Philipp stehen seine zwei teuflischen Einbläser, Marigny und Nogaret. Marigny ist der, der am Ende die Hand auf den Schatz des Tempels legen und ihn für den König verwalten wird, bis ihn die Johanniter bekommen, wobei nicht ganz klar ist, wer von den Zinsen profitiert. Nogaret, der Siegelbewahrer des Königs, war 1303 der Stratege des Zwischenfalls von Anagni, als der römische Fürst Sciarra Colonna den Papst Bonifatius VIII. geohrfeigt hatte, woraufhin dieser binnen Monatsfrist an der Demütigung verstarb.
An einem bestimmten Punkt tritt ein gewisser Esquieu de Floyran auf den Plan. Wegen irgendwelchen nicht präzisier-ten Delikte eingekerkert und zum Tode verurteilt, ist er in der Zelle angeblich einem abtrünnigen Templer begegnet, der ebenfalls auf die Enthauptung wartete und ihm schreckliche Dinge anvertraut hatte. Gegen seine Freilassung und eine schöne Summe Geldes verkauft Floyran, was er weiß.
Was er weiß, ist, was alle inzwischen raunen. Aber nun ist man vom Geraune zur Aussage vor Gericht übergegangen.
Der König teilt die sensationellen Enthüllungen Floyrans dem Papst mit, der jetzt Clemens V. ist, derselbe, der den päpstlichen Sitz nach Avignon verlagert hat. Der Papst weiß nicht recht, ob er’s glauben soll, auf jeden Fall weiß er, daß es nicht leicht ist, sich in die Angelegenheiten der Templer ein-zumischen. Aber 1307 gibt er sein Placet zur Eröffnung eines offiziellen Verfahrens. Molay wird informiert, doch
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