Das Foucaultsche Pendel
er gibt sich gelassen. Er nimmt weiter an der Seite des Königs an den offiziellen Zeremonien teil, als Fürst unter Fürsten. Clemens zieht den Prozeß in die Länge, der König argwöhnt, 116
daß der Papst den Templern Zeit lassen will, zu verschwinden. Nichts ist falscher als das, die Templer trinken und fluchen ahnungslos weiter in ihren Burgen. Und dies ist das erste Rätsel.
Am 14. September 1307 schickt der König versiegelte Botschaften an alle Vögte und Seneschalle des Reiches mit dem Befehl, die Templer überall zu verhaften und ihre Güter zu beschlagnahmen. Zwischen dem Erlaß des Haftbefehls und der Verhaftung vergeht ein ganzer Monat, doch die Templer ahnen offenbar nichts. Am Morgen des 13. Oktober werden sie alle umstellt und — weiteres Rätsel — ergeben sich kampflos. Und man bedenke, in den Tagen davor haben die Beamten des Königs, um sicherzugehen, daß ihnen bei der Beschlagnahme nichts entgeht, eine Art Bestandsaufnahme des Templervermögens durchgeführt, im ganzen Lande, mit kindischen administrativen Vorwänden. Und die Templer haben nichts gemerkt — machen Sie sich’s bequem, Herr Vogt, sehen Sie sich um, wo Sie wollen, fühlen Sie sich wie zu Hause...
Als der Papst von der Verhaftung erfährt, versucht er’s mit einem Protest, aber nun ist es zu spät Die königlichen Kommissare haben schon angefangen, mit Eisen und Strick zu arbeiten, und viele Ritter haben unter der Folter bereits gestanden. Nun kann man sie nur noch den Inquisitoren über-antworten, die zwar damals noch nicht das Feuer anwand-ten, aber es geht auch so. Die Geständigen wiederholen ihre Geständnisse.
Und dies ist das dritte Rätsel: Gewiß ist Folter angewandt worden, und zwar schlimme, wenn sechsunddreißig Ritter daran gestorben sind, aber von diesen Männern aus Eisen, die es gewohnt waren, dem grausamen Türken standzuhalten, hält keiner den Schergen des Königs stand. In Paris verweigern bloß vier von einhundertachtundreißig Templern das Geständnis. Alle andern gestehen, einschließlich Jacques de Molay.
»Aber was gestehen sie denn?« fragte Belbo.
»Sie gestehen genau das, was im Haftbefehl geschrieben stand. Ihre Aussagen weichen kaum voneinander ab, jedenfalls in Frankreich und Italien. In England dagegen, wo ihnen niemand ernstlich den Prozeß machen will, tauchen zwar in den Aussagen auch die üblichen Anklagen auf, aber 117
sie werden ordensfremden Zeugen zugeschrieben, die nur berichten, was sie vom Hörensagen wissen. Mit einem Wort, die Templer gestehen nur dort, wo jemand will, daß sie gestehen, und nur das, was er von ihnen hören will.«
»Normaler Inquisitionsprozeß«, sagte Belbo. »Von der Sorte haben wir schon andere gesehen.«
»Trotzdem ist das Verhalten der Angeklagten bizarr. Die Anklagepunkte lauten, die Ritter hätten bei ihren Initiations-ritualen dreimal Christus verleugnet, auf das Kruzifix gespuckt, sich entblößt und in posteriori parte spine dorsi* küssen lassen, also auf den Hintern, danach auf den Nabel und auf den Mund, in humane dignitatis opprobrium; schließlich hätten sie, sagt der Anklagetext, sich wechselseitig dem Beischlaf hingegeben, alle miteinander. Die Orgie. Dann sei ihnen der Kopf eines bärtigen Götzen gezeigt worden, und sie hätten ihn anbeten müssen. Und was erwidern sie auf diese Beschuldigungen? Geoffroy de Charney, derselbe, der spä-
ter mit Jacques de Molay auf dem Scheiterhaufen verbrannt wird, sagt, ja, das sei schon vorgekommen, er habe Christus verleugnet, aber nur mit den Lippen, nicht mit dem Herzen, und er könne sich nicht erinnern, ob er auf das Kruzifix gespuckt habe, weil an jenem Abend alles so schnell gegangen sei. Was den Kuß auf den Hintern betreffe, ja, auch das sei ihm widerfahren, und er habe den Präzeptor der Auvergne sagen hören, im Grunde sei’s besser, sich mit den Brü-
dern zu vereinigen, als sich mit einer Frau zu kompromittieren, aber er selber habe keine fleischlichen Sünden mit andern Rittern begangen. Kurz, man gesteht, aber es sei nur ein Spiel gewesen, niemand habe ernstlich daran geglaubt, die anderen haben’s vielleicht getan, aber ich nicht, ich hab nur aus Höflichkeit mitgemacht... Jacques de Molay, der Groß-
meister, nicht der letzte der Bande, sagt, er habe, als man ihm das Kruzifix zum Draufspucken hinhielt, nur so getan, aber auf den Boden gespuckt. Er räumt ein, daß die Initiati-onsrituale ungefähr so gelaufen seien, aber wie’s der Zufall will — er könne es nicht genau
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